Werden sie denn nie erwachsen?
1
»Du brauchst ein Schwiegermutterkleid«, sagte Nicole, nachdem sie meinen Schrank inspiziert und nichts gefunden hatte, was ihrer Ansicht nach dem feierlichen Anlaß entsprechen würde. »Und einen Hut!« ergänzte Katja.
»Lieschen Windsor hat auch immer einen auf.«
»Ich bin nicht die Queen, einen Hut habe ich noch nie getragen, werde es also auch jetzt nicht tun, und wenn das Sascha nicht paßt, soll er ohne mich heiraten!«
Ich war wütend! Sogar mehr als das, denn seit Tagen drehte sich alles nur noch um diese vermaledeite Hochzeit, an die noch immer keiner so recht glauben wollte.
Ausgerechnet Sascha, unseren Miniatur-Casanova, der erstens nie und zweitens auf keinen Fall vor seinem dreißigsten Geburtstag heiraten wollte, hatte es als ersten erwischt. Mit siebenundzwanzig. Und was hatte er sich geangelt? Eine Engländerin! Folglich hatte die Hochzeit in England stattzufinden, und folglich hatte ich nach Ansicht meiner achtzehnjährigen Zwillingstöchter irgendwas in grauer Seide zu tragen, weil doch »alle Engländer so schrecklich konservativ« seien.
»Du kannst nicht im Hosenanzug in die Kirche gehen«, blockte Nicki meinen dezenten Hinweis auf den reichhaltigen Bestand meiner Lieblingskleidung ab, »da biste doch gleich unten durch. Und Sascha auch. Immerhin repräsentieren wir als einzige den deutschen Anhang dieser Mischehe, und wenn ich mir vorstelle, wie Victorias ellenlange Verwandtschaft uns unter die Lupe nehmen wird, würde ich am liebsten gar nicht mitkommen.
Englische Hochzeit! Da gibt’s ja nicht mal was Vernünftiges zu essen.« Sie schüttelte sich. »Die können doch alle nicht kochen. Oder weshalb sonst stammen die meisten Gewürzsoßen aus England?«
Unter diesem Aspekt hatte ich die bevorstehenden Feierlichkeiten noch nicht betrachtet. »Wir fahren nicht nach England, um unsere Mägen zu strapazieren, sondern um eurem Bruder auf seinem schweren Gang seelischen Beistand zu leisten.«
»Den braucht er nicht, schließlich heiratet er ja freiwillig«, sagte Katja lakonisch. »Ich wünsche ihm bloß, daß seine Ehe länger hält als sämtliche Küchenmaschinen, die sie zur Hochzeit kriegen werden.« Dabei fiel ihr etwas ein. »Was schenkt ihr eigentlich?«
»Das Honorar für den Scheidungsanwalt«, sagte ich patzig.
Nein, so ganz hatte ich mich noch immer nicht mit dem Gedanken abgefunden, daß Sascha tatsächlich heiraten wollte. Seine Verlobung, die er uns morgens um fünf Uhr telefonisch mitgeteilt hatte, als er sich irgendwo zwischen Hongkong und Singapur befand, hatten wir natürlich nicht ernst genommen, obwohl sein Vater gemeint hatte, gegen ein hübsches Thai-Mädchen in der Familie hätte er gar nichts einzuwenden. Doch verlobt sei noch nicht verheiratet, und überhaupt könne das alles auch nur ein Hörfehler gewesen sein, immerhin sei die Verbindung miserabel gewesen, wahrscheinlich hätte ich statt verliebt eben verlobt verstanden.
»Wenn er jedesmal anrufen würde, sobald er sich verliebt hat, dann würden die Telefonrechnungen sein Einkommen um ein Mehrfaches übersteigen«, erwiderte ich. »Aber du hast ja recht. Noch ist er nicht verheiratet, und Felix hat sowieso prophezeit, daß er sich mindestens dreimal verloben würde, bevor er zum erstenmal Ernst macht.«
Felix ist langjähriger Freund unserer Familie, Patenonkel und mit Sicherheit Geheimnisträger, was Saschas vergangenes Liebesleben betrifft.
Ernsthaft beunruhigt war ich erst nach dem zweiten Anruf. Der kam aus Durban, diesmal via Satellit, wodurch die Verständigung erheblich verbessert wurde und keinerlei Zweifel an den konkreten Anweisungen meines Sohnes mehr zuließ. »Kannst du bitte umgehend meine Geburtsurkunde nach England schicken?« Es folgten ein Mädchenname sowie eine äußerst komplizierte Anschrift, die mir Sascha sicherheitshalber einzeln durchbuchstabierte.
»Wozu brauchst du …«
Meine Frage wurde elegant mit dem Hinweis abgeblockt, jede Minute Satellitentelefon koste ungefähr sieben Dollar, und er habe bereits an die vierzig in den Himmel geschickt. »Ich schreibe dir ganz ausführlich, sobald ich ein bißchen Zeit habe.«
Die schien er in den letzten Wochen jedoch nie gehabt zu haben. Ein paar Ansichtskarten waren gekommen, darunter eine mit einem kurzbehosten Nikolaus, der Badelatschen trug und Glitzerketten an eine Palme hängte.
Der Text lautete: »Wir liegen hier am Strand, trinken Pina Colada und singen Weihnachtslieder. Herzliche Grüße.«
Abgestempelt war sie in
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