Mein ist dein Herz
dann zusätzlich reizen will oder ob es einfach seine übliche Art ist, von der ich mich bereits entwöhnt habe, kann ich nicht genau sagen, jedenfalls geht er ohne um Erlaubnis zu bitten herein. Sein Blick lässt keinen Winkel des vollgestellten Wohnzimmers aus, und sobald diese Inspektion vorbei ist, bekomme ich einen Pfiff zu hören.
»Wie ich sehe, wolltest du ohne ein Wort zu sagen die Kurve kratzen?«, bemerkt er abfällig.
»Wie gesagt, ich bin weder dir noch sonst jemanden ...«
»... Rechenschaft bla, bla ... Ich finde aber, dass ich durchaus ein Wörtchen mitzureden habe ...«
»Findest du?«
Er nickt und setzt sich auf das Sofa. Seine Hand kommt auf der Lehne zu liegen, ein Bein winkelt er an und wirkt so ekelhaft berechnend, dass ich erschaudere.
Ich meine, war der immer schon so ein offensichtlicher Arsch? Wie konnte ich nur so blind, blöd ... was auch immer ... sein? Chris Avans lässt grüßen.
»Tyler?«, setze ich zuckersüß an und sichere mir sein ebenfalls scheinheiliges »Hm?«
»Raus!«
Als hätte man irgendeinen Schalter umgelegt, verschwindet die gespielte Freundlichkeit. Ich sehe nur noch die Verkörperung eines Fuchses oder einer Hyäne, die gerade eine Runde um ihr Opfer macht und sich dabei fragt, welche Seite am schmackhaftesten ist.
»Ich denke nicht mal dran!«
»Raus habe ich gesagt!«
»Das kannst du nicht machen, Janessa!«
»Wieso denn nicht?«
»Ich könnte ins Auto steigen und in meiner durch dich ausgelösten Depression einen schweren Unfall bauen!«, antwortet er und ich meine, dass in meinem Bewusstsein ein Peitschenhieb ertönt. Einer, der direkt auf meinem Herzen niedergeht.
Ich spüre, wie mein Gesicht schlagartig kalt wird, und verstehe zeitgleich, dass Tyler meine Reaktion falsch gedeutet hat, weil er noch einen draufsetzt. »Andererseits könnte ich jetzt in die Küche gehen und eines deiner Messer dazu benutzen, um ...«
Weiter kommt er nicht, weil ich mich in Bewegung setze und selbst in die Küche stürme. Auch dies wird von ihm gänzlich missverstanden, weil er mit einem selbstgefälligen Grinsen hinterherkommt.
Nun! Wenigstens das wird ihm gleich vergehen ...
»Mach!«, fordere ich ihn auf und reiche ihm das Messer. »Nur mach es schnell, weil ich deinen Anblick einfach nicht mehr ertragen kann!«
»Aber Jane ...«
»Nichts aber, T YLER ! Ich hasse es, dass du mich mit deinen Suizidvorhaben erpresst hast. Ebenso wie ich es hasse, dass du egoistisches, verlogenes Arschloch immer noch lebst, während mein ... MEIN ...«
O H G OTT!
Ist es das, was ich jenseits meines Bewusstseins gedrängt habe?
Ich merke, wie ich anfange zu ersticken, die Umgebung dreht sich und ich sehe nur noch ein verschwommenes Bild vor meinem geistigen Auge: Sean, der zu einer Statue erstarrt dransteht und auf unser Baby schaut, das in seiner Hand liegt.
Ein Moment, den ich immerzu mit dem Satz in Verbindung bringe, welcher am lautesten in meinem Verstand hämmerte:
»Jetzt hältst du mein Herz in deiner Hand!«
Der Abgrund, zu dem ich gerade erst einen unbedenklichen Abstand gewonnen habe, tut sich sofort wieder vor meinen Füßen auf und ich spüre, dass der kleinste Schubser ausreichen könnte, um mich abstürzen zu lassen.
Nun weine ich doch noch, obwohl ich das am wenigsten wollte, und schnappe vergeblich nach Luft. Tyler nimmt mir das Messer ab, drängt mich aufs Sofa zurück und geht zum ersten Mal, seit überhaupt, vor mir auf die Knie.
Er nimmt meine Hände, verteilt Küsse darauf, versucht mich dadurch zu trösten, seine Zärtlichkeit fühlt sich aber wie Gift für mich an. Wie ein Toxin, dass durch meine Haut sickert und alles Lebendige in mir abtötet.
Ich will mich von ihm lösen, ihm sagen, dass er mich nie wieder belästigen, geschweige denn berühren soll, doch just in diesem Augenblick geht die Tür auf und präsentiert meine Mutter. Sie schaut mich, Tyler, unsere Hände und dann wieder mich an, stößt einen leisen Fluch aus und schließt sie wieder.
Sie hat sicherlich falsche Rückschlüsse gebildet, diese sind aber derzeit nebensächlich. Ich will nur noch weg von hier.
So eine Distanz zu ihm erschaffen wie irgend möglich.
Ehrlicher wäre zu sagen, dass ich zu Sean will! Denn das möchte ich mehr, als alles andere.
E rst nachdem das Kemptener Straßenschild passiert ist, wird mir bewusst, dass ich es geschafft habe. Alles, was ich jahrelang angesammelt habe, breitete ich vor Tyler aus und versicherte ihm, dass er niemals wieder über mich
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