Mein Leben Als Suchmaschine
dem Hort, einer vom Patenonkel, und der fünfte, ja, von dem weiß eigentlich keiner so genau, wie der überhaupt in unseren Haushalt gekommen ist. Irgendwann Ende November war er plötzlich da. So, wie manche Dinge eben plötzlich da sind. Beispielsweise habe ich, soweit ich mich erinnere, noch nie in meinem Leben Besteck gekauft. Trotzdem hatte ich in allen meinen Wohnungen immer ausreichend Besteck. Keine Ahnung, warum. Es war irgendwie einfach immer da.
Alle 24er-Türchen der Adventskalender haben übrigens Druckstellen. So einige Druckstellen vom Fühlen. Meine Tochter behauptet felsenfest, sie wäre es nicht gewesen. Und ich glaube ihr, weil ich ein guter Vater bin. Einer, der seiner Tochter vertraut, der das, was sie sagt, ernst nimmt, dem Kind nicht aus Bequemlichkeit oder Universalmißtrauen irgendwas unterstellt. Ein Vater, der genau weiß, wie sehr so ein grundloser Verdacht eine Kinderseele verletzen kann, dem seine Tochter wichtiger ist als uneingedrückte 24er-Türchen und der darüber hinaus ja weiß, daß er sie selbst zerdrückt hat.
Ich mag Adventskalender. Schon immer. Das Erfühlen des 24er-Türchens ist eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen. Das gehört zu Weihnachten dazu. Nächstes Jahr mache ich das mit der Tochter gemeinsam. Gemeinsam Verbotenes zu tun, gehört zu den schönsten Sachen, die man als Familie zusammen unternehmen kann. Es fördert einfach Vertrautheit, Zusammenhalt und Geborgenheit. Vielleicht basteln wir dann auch unseren eigenen Adventskalender. Daran hatte ich auch immer Spaß. Obwohl meine Kalender wahrlich nicht alle so wirklich erfolgreich waren.
Im Alter von 16 Jahren habe ich mal extra einen Handarbeitskurs besucht, um für mich einen Adventskalenderoverall nähen zu können. Ein purpurroter Overall mit 24 Türchen. Auf den Schultern zwei Halter für Kerzen. Den habe ich dann am ersten Dezember angezogen und bin damit zu meiner damaligen Freundin Claudia. Also, wir waren jetzt noch nicht wirklich zusammen. Also, genaugenommen war sie sehr, sehr viel weniger mit mir zusammen als ich mit ihr. Mit diesem Ganzkörperadventskalender wollte ich jetzt allerdings mal Nägel mit Köpfen machen und ihr Herz für alle Zeiten oder doch zumindest bis über die Feiertage gewinnen. Jeden Tag, sagte ich ihr freudestrahlend, dürfe sie ein Türchen öffnen. Als Claudia jedoch den riesigen Hosenlatz mit der 24 sah, hat sie sich direkt von mir getrennt. Drücken oder fühlen wollte sie auch nicht. Nun ja, nicht jeder hatte eine glückliche, sorgenfreie Pubertät.
Sechs Jahre zuvor, im Alter von zehn, habe ich mal 24 Mäuse besorgt, um mit denen einen Adventskalender für unsere Katze zu basteln. Doch als ich sie in die Schachteln stecken wollte, sind sie mir irgendwie entwischt. Im Sommer hatten wir dann um die hundert Mäuse. Meine Mutter hat mir daraufhin verboten, weitere Adventskalender für die Katze zu basteln.
Meinen schönsten Adventskalender bekam ich jedoch im Alter von 21. Mein damaliger Mitbewohner und alter Jugendfreund Markus hat ihn mir gebastelt. 24 kleine Säckchen, und in jedem steckte ein liebevoll handgedrehter Joint. Auf die Blättchen hatte er mit Lebensmittelfarbe kleine Weihnachtsmotive gemalt. Ein Kifferadventskalender. Damals sind wir jeden Morgen ganz früh aufgestanden, um ein neues Säckchen zu öffnen. Ich habe offen gestanden nicht mehr sehr viele Erinnerungen an diese Zeit. Außer daß das Säckchen mit der 24 echt ziemlich groß war. Unsere Tage damals hatten eine relativ klare Struktur. Irgendwann war es morgens, dann aber plötzlich auch abends und dann auf einmal wieder morgens. Zwischendrin hatte manchmal einer von uns Geburtstag. Zumindest haben wir das behauptet, um nicht abwaschen oder kochen zu müssen oder so. Ob da sonst noch was war? Wer kann das wissen? Wir haben, glaub ich, noch geredet, echt ziemlich viel geredet. Was auch immer. Vermutlich dies und das. Wenn man eine gemeinsame Kindheit in Diepholz in Niedersachsen hatte, geht einem nie der Gesprächsstoff aus. Und immer wieder sprachen wir wahrscheinlich auch von unserem schlimmen Weihnachtstrauma. Dem Tag, den nur wir wohl nie wieder vergessen würden.
Der Winter des Jahres 1972 war ein recht milder Winter. Ich war damals fünf Jahre alt. Meine Eltern hatten versprochen, mit mir am verkaufsoffenen Samstag vor dem dritten Advent ins Kaufhaus Seitz nach Diepholz zu fahren. Verkaufsoffener Adventssamstag. Bis 16.30 Uhr hatte das Kaufhaus auf. Der blanke Wahnsinn.
Mein Großvater
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