Mein Leben
geschämt, denn er ging von der »Frankfurter Allgemeinen« aus – und sie spielte in ihm keine rühmliche Rolle. Ich habe mich geschämt, denn er wurde von Joachim Fest inspiriert und zeitweise organisiert. Und beide sind aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken: der deutsche Historikerstreit und Joachim Fest.
Im Herbst 1985 sollte in Frankfurt, in den Kammerspielen, ein Stück des Filmemachers und Dramatikers Rainer Werner Fassbinder uraufgeführt werden: »Der Müll, die Stadt und der Tod«. Diesem Stück wurde in der Öffentlichkeit wiederholt aggressiver Antisemitismus vorgeworfen. Die geplante Uraufführung konnte nicht stattfinden, denn Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt hielten demonstrativ die Bühne besetzt. Ich saß im Zuschauerraum. Ich war erschrocken und bestürzt, ich war ratlos wie die meisten Anwesenden, vornehmlich Kritiker, Reporter, Journalisten.
Schließlich entschied ich mich, wie gering die Chancen auch waren, einzugreifen. Ich ging auf die Bühne und sprach mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Ignatz Bubis. Die Vertreter der Gemeinde hätten, indem sie die Bühne seit Stunden besetzt hielten, ihr Ziel erreicht. Die Aufführung sei verhindert und damit zugleich ein neues jüdisches Selbstbewußtsein bekundet worden. Jetzt aber wäre es richtig, die Bühne wieder zu räumen, damit die aus vielen Städten und auch aus dem Ausland gekommenen Berichterstatter die Aufführung sehen könnten. Bubis antwortete mir, er und die anderen, die hier demonstrierten (vor allem ältere Menschen, Überlebende aus Konzentrationslagern), seien an einen Beschluß des Gemeinderats gebunden. Meine Intervention war also vergeblich und aussichtslos.
Fassbinders Stück ist literarisch wertlos – ein schludriges, ein widerwärtiges Machwerk. Gleichwohl halte ich dieses Stück für ein charakteristisches Zeitdokument. Wie ungeschickt und brutal auch immer, signalisiert es ein bundesdeutsches Problem: das Verhältnis zu den Juden. Damals hat man das Wort geprägt: »Das Ende der Schonzeit«. Womit gesagt sein sollte, es sei nun an der Zeit, über die Juden und ihre Rolle in diesem Land offen und aufrichtig zu reden – eben schonungslos.
Nur auf den ersten Blick haben Fassbinder und seine Anhänger mit dem Historikerstreit wenig oder nichts gemein. Aber in diesem Streit wurde gegen dasselbe bundesdeutsche Tabu protestiert: Auch der Vortrag des inzwischen emeritierten Berliner Historikers Ernst Nolte, mit dem die Debatte eröffnet wurde, betraf das Verhältnis zu den Juden und stand unter dem (wenn auch nicht ausdrücklich zitierten) Motto »Das Ende der Schonzeit«. So hat der Historikerstreit die Fassbinder-Diskussion fortgesetzt – natürlich mit ganz anderen Mitteln und auf einer ganz anderen Ebene.
Noltes Vortrag wurde in der »Frankfurter Allgemeinen« vom 6. Juni 1986 veröffentlicht – unter dem Titel »Vergangenheit, die nicht vergehen will. Eine Rede, die geschrieben, aber nicht gehalten werden konnte«. Einem redaktionellen Vorspann zufolge haben wir es mit einem Text zu tun, der bei den Frankfurter Römerberggesprächen vorgetragen werden sollte, doch sei die Einladung an den Referenten nicht aufrechterhalten worden – »aus unbekannten Gründen«. Was dieser Titel und dieser Vorspann behaupteten, trifft nicht zu: Nolte wurde keineswegs gehindert, seine Rede zu halten, niemand hat ihn ausgeladen. Schon die Formulierung »aus unbekannten Gründen« verrät, daß hier die Unwahrheit gesagt wird. Denn ein Anruf der Redaktion beim Frankfurter Magistrat, dem Veranstalter der Römerberggespräche, hätte genügt, um den im Briefwechsel mit Nolte dokumentierten Sachverhalt zu klären.
Der höchst umständlich formulierte und teilweise in einem pseudowissenschaftlichen Jargon geschriebene Artikel Noltes enthält zwei schlichte Gedanken. Erstens: Der deutsche Mord an den Juden sei keineswegs einzigartig, vielmehr vergleichbar mit anderen Massenmorden in unserem Jahrhundert. Zweitens: Der Holocaust sei die Folge, wenn nicht die Kopie der bolschewistischen Schreckensherrschaft, eine Art deutsche Schutzmaßnahme und somit eine, wie Nolte andeutet, doch verständliche Reaktion. So war er bemüht, den Nationalsozialismus zu verteidigen, die deutschen Verbrechen zu bagatellisieren und sie womöglich anderen, zumal den Sowjets, in die Schuhe zu schieben. Die antisemitischen Akzente in diesem Artikel waren zwar mehr oder weniger getarnt, konnten jedoch schwerlich übersehen werden. Fest ist
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