Mein Onkel Ferdinand
wird, bis ich die beiden Gauner zu fassen kriege und wieder zu meinen Moneten komme. Die zweihundert Rubel, die mir von meinem Reichtum übriggeblieben sind, werden nicht lange vorhalten. Und nichts ist peinlicher, als von Moses und den Propheten verlassen zu sein. Aus diesem kühlen Grunde habe ich mir erlaubt, Deinen lieben Vater zur Verstärkung meiner Kriegskasse um dreihundert Hühnerchen zu erleichtern. Es wäre mir äußerst unangenehm, wenn er auf der Bank erführe, daß mein Scheck leider ungedeckt ist.
Ich nehme nun an, mein lieber Hermann, daß Du Deinem Vater die Peinlichkeit, solches am Schalter zu erfahren, gern ersparen willst. Bring also die Geschichte in Ordnung! Diese kleine Gefälligkeit wird Dir um so leichter fallen, als ich von Deinen Eltern zu meiner freudigen Überraschung Neuigkeiten hörte, die Du mir verschwiegen hast. (Warum eigentlich???)
Nun, ich beglückwünsche Dich herzlich dazu, daß Du nicht nur ein verdammt hübsches, sondern auch ein mit irdischen Glücksgütern reich bestücktes Mädchen ehelichen wirst. Wenn man es sich richtig überlegt, hast Du die Bekanntschaft dieser Dame und alles Weitere niemandem anders zu verdanken als Deinem alten Onkel Ferdinand. Aber auch wenn das nicht der Fall wäre, so bist Du inzwischen doch zu einem Mann in einer guten und sicheren Position herangewachsen und somit einer alten Familientradition zufolge, von der ich Dich beim besten Willen nicht ausnehmen kann, dazu verpflichtet, etwas für Deinen treuen Onkel Ferdinand zu tun. — Ich nehme an, daß lange Jahre vergehen werden, ehe wir uns Wiedersehen. Ob ich nun meine schurkischen Kompagnons fasse oder nicht, auf jeden Fall zieht es mich nach soviel Büroluft und anstrengender Geistesarbeit wieder in die Natur und in die Ferne. Vielleicht gehe ich nach Australien. Dort scheint ein Mann, sofern er tüchtig ist wie ich, noch die meisten Chancen zu haben. Jedenfalls sagte mir das Deine Mutter...
»Zwei Seiten?!« fragte mein Vater erstaunt und ein wenig beunruhigt, »was hat Ferdinand denn so viel zu schreiben?«
»Ach, eigentlich nichts Besonderes«, antwortete Gertrud und schob mir den Brief in die Jackentasche, »er bittet Hermann nur darum, den Scheck mit dir zu verrechnen, falls du ihn noch nicht eingelöst hast. Wir sind Onkel Ferdinand nämlich dreihundert Mark schuldig...«
Sie kniff mich von hinten und lächelte mich von vom strahlend an: »So ist es doch, nicht wahr, Hermann?«
»Ja«, knurrte ich, »genauso! Es ging uns nämlich wie ihm. Als wir uns entschlossen, an den Bodensee zu fahren, waren die Banken schon geschlossen — und großzügig, wie Onkel Ferdinand nun einmal ist, bot er uns an, sich seiner Brieftasche zu bedienen.«
»Schau einer an!« sagte mein Vater fast respektvoll, »davon hat Ferdinand mir kein Wort gesagt. Hast du das gehört, Mathilde? Zum erstenmal hat jemand aus der Familie deinen Bruder Ferdinand mit Erfolg angepumpt. Es geschehen doch noch Zeichen und Wunder!«
»Wenn ich es nicht von Gertrud hören würde, würde ich es nicht glauben!« sagte meine Mutter mit einem tiefen Seufzer.
Ich sah Gertrud mit einem sorgenvollen Blick in die Augen, aber sie drückte mir ermutigend die Hand: »Übrigens spricht Onkel Ferdinand in seinem Schreiben davon«, sagte sie munter, »daß er von der Büroluft genug habe und wieder in die Welt hinausziehen wolle. Vielleicht sogar nach Australien. Ich glaube, wir werden mit ihm noch große Überraschungen erleben!«
Ich hielt den Atem an.
Tante Otti aber blätterte in dem Familienalbum zurück.
»Ein gewaltiges Mannsbild!« sagte sie. Die Bowle hatte ihre Wangen sanft gerötet. »Ich finde, an ihm ist etwas dran!«
Mein Vater fischte mit den Lippen eine Erdbeere aus seinem Glas.
»Er ist ein Außenseiter...«, murmelte er und zerdrückte die cognacgesättigte Erdbeere genießerisch auf der Zunge, »kann man es wissen? Außenseiter bringen manchmal sehr hohe Quoten...«
»Nein!« sagte meine Mutter und schüttelte traurig den Kopf, »ich glaube nicht daran. Ich kenne euren Onkel Ferdinand länger. Er ist nicht das Holz, aus dem Millionäre geschnitzt werden.«
ENDE
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