Mein schwacher Wille geschehe
genommen. Während das bloße Herumlungern eben noch als typisches Merkmal zur Beschreibung eines Sozialfalls galt, kann es heute auch schon einmal auf seine schöpferischen Impulse hin abgeklopft werden.
Aus Beharrungsvermögen, Trägheit und Unlust gehen bisweilen |217| seltsame Energien hervor, denen in diesem Buch in verschiedenen Anläufen und wechselnden Perspektiven Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Auf seine Weise hat unlängst der Berliner Kulturwissenschaftler Joseph Vogl eine Inspektion des Zauderns vorgenommen und dessen mitunter Qualen verursachende Unentschiedenheit auf ihre verborgenen Potenziale hin untersucht. 49 Was hat es mit jenem endlosen Grübeln auf sich, das einen nicht zu Potte kommen lässt? Aus zahlreichen literarischen Quellen entwickelt Vogl eine Zauderfunktion, die den Spielarten der Willensschwäche und Unentschlossenheit eine weitgehend noch nicht geborgene Dimension attestiert. »Das Zaudern«, so Vogl, »scheint wie ein verschollenes Thema oder Anathema eine seltsam verwischte Spur zu ziehen, die überall dort scharf und prägnant wird, wo sich – in einer langen abendländischen Geschichte – eine Kultur der Tat und eine Kultur des Werks brechen und reflektieren. Das Zaudern begleitet den Imperativ des Handelns und der Bewerkstelligung wie ein Schatten, wie ein ruinöser Gegenspieler; und man könnte hier von einer Zauderfunktion sprechen: Wo Taten sich manifestieren und wo Handlungsketten sich organisieren, wird ein Stocken, eine Pause, ein Anhalten, eine Unterbrechung markiert. Damit hat sich zugleich ein asymmetrisches Verhältnis zur Zeit und zur Geschichte eingestellt.« Man muss Vogls geschichtsphilosophischen Exkursionen nicht auf allen Pfaden folgen, um in der Zauderfunktion eine noch weitgehend unentdeckte Ressource zu erkennen – ein Vermögen des Innehaltens; Kraftreserven, die aus weitgehend brachliegenden Nischen hervorgeholt werden können, wenn es nötig ist.
Um die Nischen der Untugenden ausleuchten zu können, habe ich mir die Freiheit des mehrfachen Perspektivwechsels erlaubt. Das Buch konnte kein Vertreter des Ratgebergenres werden, weil es auf die Lust des Lesers am Weiterspinnen des Vorliegenden setzt. Es kam darauf an, die Neigung zum Unterlassen, die Tendenz |218| zum Aufschieben und Sich-gehen-lassen auf ihre jeweiligen Energien, stabilisierenden Komponenten und integrierenden Kräfte hin abzuklopfen. Wenn am Ende des Buchs ein »Ach« ertönt, dann ist es kein überdrüssiges, das seinen Missmut vor zusätzlichen Anstrengungen ausdrückt. Es ist vielmehr in der Tonlage des Lauts gesprochen, in dem Erkenntnis und Aufbruch lauern. Es ist als Anregung zu verstehen, sich einer Theorie und Praxis des Nachlassens zu vergewissern, die aus den Erschöpfungszuständen ihr Material gewinnt. Den Blick dafür zu weiten, ist die Idee dieses experimentellen Erlaubnisgebers.
|219| Dank
Die Idee zum Buch hatte Petra Eggers, und ich danke ihr für das entgegengebrachte Vertrauen, das Thema nach meinen Vorstellungen entfalten zu können. Diana Stübs von der Agentur Eggers und Landwehr hat gleich zu Beginn die richtigen Fragen gestellt. Sabine Niemeier vom Campus Verlag danke ich für ihre inspirierende Begleitung des Projekts während des Schreibens und ihre ordnenden Eingriffe zum Schluss. Ursula März, Kathrin Passig und Stefan Klein haben mit ihren klugen Interventionen in ausführlichen Gesprächen sehr zur Abrundung des Buches beigetragen. Der größte Dank gilt Barbara Brockert, die meine Laster kennt, sie oft erträgt und immer wieder auch für deren Schubumkehr sorgt.
|220| Anmerkungen
^ 1 Siegfried Giedion:
Die Herrschaft der Mechanisierung. Ein Beitrag zur anonymen
Geschichte
, Hamburg, 1994
^ 2 Italo Sevo:
Zeno Cosini
, Roman, Reinbek 1988
^ 3 Wolfgang Schivelbusch:
Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft.
Eine Geschichte der Genussmittel
, Frankfurt 1990
^ 4 Stephan Bartels:
Der Kilo-Killer. Ein Jahr im Schlankheitswahn
, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt 2008
^ 5 Joschka Fischer:
Mein langer Lauf zu mir selbst
, Hamburg 1999
^ 6 Susanne Fröhlich:
Moppelich
.
Der Kampf mit den Pfunden,
Frankfurt 2004
^ 7 Franz Kafka: »Die Verwandlung«, in
Erzählungen
, Frankfurt 1976
^ 8 Ulrich Beck.
Was zur Wahl steht
, Frankfurt 2005
^ 9
Der Briefwechsel Wolfgang Koeppen – Siegfried Unseld
, Frankfurt 2006
^ 10 Wolfgang Koeppen, Marion Koeppen:
Briefe:»… trotz allem so wie Du bist
«
, Frankfurt 2008
^ 11 Aristoteles:
Nikomachische
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