Heldensabbat
1
Sie sah umwerfend gut aus, nicht nur für einen Mann, der lange keine Frau gehabt hatte. Was man über die erotischen Qualitäten der Französinnen gehört, geträumt oder kolportiert hatte, zeigte sie im Übermaß. Auf den ersten Blick fiel der Kontrast ihrer kobaltblauen Augen zu ihren blauschwarzen Haaren auf. Sie hatte eine ovale Stirne, ein flächiges, leicht gebräuntes Gesicht mit hübschen Grübchen und auffallend weißen Zähnen.
Vielleicht wirkte ihre Figur ein wenig zu füllig, aber wie der Morgenrock deutlich konturierte, war ihr Körper straff. Ihr Alter konnte man nur schwer schätzen, um die Dreißig herum, vielleicht etwas darunter oder knapp darüber. In jedem Fall war sie gut zwanzig Jahre zu jung für den Lieutenant-Colonel Prenelle, den ich abholen und zur US-Dienststelle am Bois de Boulogne fahren sollte.
Ich hörte meinen eigenen Atem, und es kam nicht daher, daß ich die vier Treppen zu der eleganten Wohnung an der Avenue de Friedland hinaufgestürmt war.
Madame Prenelle betrachtete mich gründlich; sie lächelte mit aufgeworfenen Lippen. »Calme-toi«, sagte sie mit hellem Timbre in der Stimme.
»Reg dich ab«, heißt das, und das war leichter gesagt als getan. Ich bin auch heute noch ganz sicher, daß mich Adrienne gleich bei unserer ersten Begegnung geduzt hat. Es lag nicht daran, daß sie vulgär gewesen wäre oder mir gleich anfänglich eine Offerte gemacht hätte.
»Alain«, rief sie. »Ton chauffeur est arrivé.« Sie erhielt keine Antwort. »En avant«, lud sie mich ein, die Wohnung zu betreten.
»Merci bien, Madame«, erwiderte ich steif.
»Pas de rien«, versetzte sie mit gewohnheitsmäßiger Höflichkeit und wies mir durch eine Handbewegung in der Diele einen Platz an. »Allemand?« fragte sie.
»Oui, Madame«, erwiderte ich.
»Je n'aime pas les boches«, entgegnete sie, und das hatte ich oft genug zu hören bekommen. Der Friede war knapp zwei Jahre alt, und dabei hatte in Paris der Krieg durch die vorzeitige Befreiung neun Monate früher geendet.
»Je ne suis pas un boche«, verteidigte ich mich wieder einmal.
»Qu'est-ce que vous êtes alors?« fragte sie mich. Was ich dann sei?
»Un allemand.«
Die schöne Französin schüttelte den Kopf. Sie spitzte ihre Lippen. »Vive la petite différence!« verspottete sie den kleinen Unterschied.
»Excellent, Madame«, erwiderte ich und setzte hinzu, daß ich die Franzosen mochte.
»Alle?« fragte sie, wie erschrocken.
»Viele«, erwiderte ich.
Sie betrachtete mich aufmerksam. »C'est vrai?« vergewisserte sie sich. Ob sie recht verstanden hätte?
Ich bestätigte es, und Madame Prenelle schüttelte den Kopf und lächelte mit gallischem Charme. Es war für mich einer meiner Gründe, frankophil zu sein, trotz allem.
Sie ging in das Innere der Wohnung. Ich hörte einen raschen Wortwechsel zwischen der Frau im Morgenrock und dem Hausherrn. Ich konnte aus dem Dialog keine Einzelheiten herausdestillieren, aber er hörte sich unfreundlich an. Madame schien für Monsieur Prenelle nicht nur zu jung, sondern auch zu hübsch zu sein, aber das war sein Problem, auch wenn ich mich fragte, wie eine Frau wie sie an ein Ekel wie ihn geraten konnte.
Sie kam zurück, ging an den Wandschrank, um sich aus einem Kästchen eine Zigarette zu holen; sie lief mit dem lautlosen Gang einer Tigerin. Bei aller Gepflegtheit hatte sie etwas Animalisches. Der geschlitzte Rock ihres Morgenmantels machte wohlgeformte lange Beine sichtbar; sie bemerkte, daß ich es sah, und das sollte ich wohl auch.
Ich starrte sie an, ich konnte einfach nicht anders, obwohl es unhöflich und in meiner Lage vielleicht sogar gefährlich war. Auch wenn ich eine Art Räuberzivil trug und eine zweisprachige Legitimation bei mir hatte, unbewacht war und mich verhältnismäßig frei in Paris bewegen durfte, war ich ein PoW, ein deutscher Kriegsgefangener, in amerikanischem Gewahrsam, auf französischem Boden. Ich lebte nicht gerade wie Gott in Frankreich, aber auch nicht wie Boche in Frankreich – und so sollte es auch bleiben.
Ich ging Adrienne entgegen, um ihr Feuer zu geben. Das Streichholz in meiner Hand zitterte, ich benahm mich so tölpelhaft, daß das Flämmchen ausging.
»Nerveux?« fragte die Exzentrische und lächelte wieder. Ihre Lippen platzten wie eine reife Frucht und zeigten wieder ihre Reklamezähne; es machte ihr offensichtlich Spaß, daß sie mich durcheinanderbrachte.
»Peut-être«, antwortete ich hölzern und versuchte es mit dem nächsten
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