Mein Seelenauftrag
zuvor war ich aus New York in mein geliebtes Vermont gezogen, aber die Beziehung zu Barbara endete. Ich erwachte jeden Morgen in einem Zustand höchster Angst, der erst Stunden später wieder abflaute. Ich wurde depressiv. Es gab nur einen Ort, an dem ich mir vorstellen konnte, Hilfe zu finden: das Quimby Center. Ich rief Dr. Hunter an und fragte, ob ich wiederkommen könne. »Selbstverständlich«, erwiderte sie, und so machte ich mich auf den Weg.
Als ich in Alamogordo eintraf, wurde mir schnell klar, dass ich nur als einer ihrer Vollzeit-Mitarbeiter und Schüler zufrieden wäre. Ich vermietete mein Anwesen in Vermont und zog nach New Mexico.
Ich lernte schnell, dass sich Dr. Hunter einiger interessanter und recht unorthodoxer Methoden bediente, um ihren Schülerinnen und Schülern beim Verlernen im Allgemeinen und dem Lockern der Zügel des Ego im Besonderen zu helfen. Ein Nachmittag ist mir besonders in Erinnerung geblieben.
An jenem Morgen hatte Dr. Hunter einige Termine gehabt, die mehr Zeit beansprucht hatten als geplant, weshalb wir – die Mitarbeiter des Quimby Centers – ziemlich spät zu Mittag gegessen hatten. Als der Abwasch beendet war, war es drei Uhr nachmittags. (Nebenbei bemerkt war das Geschirrspülen eine Übung in Lärmvermeidung, da Dr. Hunter sehr geräuschempfindlich war. Es war auch eine Übung im Wassersparen, denn schließlich lebten wir in der Wüste.) Nachdem der letzte Teller aufgeräumt war, verkündete sie seelenruhig, dass wir nun das Abendessen zuzubereiten hätten. Es kämen Gäste, die um 16:30 Uhr zu Abend essen müssten. »Aber Dr. Hunter«, stotterten wir verdutzt und pikiert, »wir haben doch gerade erst zu Mittag gegessen!«
»Ich weiß«, erwiderte sie. »Doch wenn ihr lernen wollt, mit dem Licht zu arbeiten, müsst ihr lernen, euch nicht von Gewohnheiten beherrschen zu lassen. Ihr müsst lernen, im Jetzt zu leben und zu tun, was der gegenwärtige Augenblick von euch verlangt. Und er verlangt, dass wir das Abendessen zubereiten.«
Nur wenige Stunden nach dem Mittagessen wieder zu Abend zu essen war eine sehr viel härtere Lektion für mein Ego als für meinen Magen. Wenn man allmählich von der Identifikation mit dem Ego zur Identifikation mit der Seele übergeht, lockert das Ego tatsächlich allmählich die Kontrolle, um sie schließlich ganz aufzugeben. Dieses Loslassen geht zuweilen mühelos, oft aber nur unter heftigem Protest vonstatten.
Wie viel Schlaf braucht der Mensch?
Meine Schlafgewohnheiten zu brechen fiel mir schon leichter. Ich war in dem kuriosen Glauben aufgewachsen, ich bräuchte jede Nacht sieben bis acht Stunden Schlaf, um tagsüber gut zu funktionieren. Darüber hinaus war ich der absurden Überzeugung gewesen, ich müsste meinen Schlaf jede Nacht um dieselbe Zeit bekommen.
Dr. Hunter sah das offenbar anders. Sie sagte zwar nie, dass sie in diesem Punkt anderer Ansicht war, aber sie lebte, als ob für den Schlaf keine Regeln gälten. Und da wir an ihren Tagesablauf gebunden waren, verloren sie auch für uns ihre Gültigkeit.
Eine ihrer Lieblingsstrategien war es, abends um 23 Uhr eine Unterrichtsstunde anzusetzen, nachdem wir alle den ganzen Tag im Center gearbeitet hatten. Offiziell war vorgesehen, dass wir in dieser Zeit ruhig zusammensaßen und die Ereignisse des Tages besprachen, weshalb wir uns etwa zu sechst in ihrem Wohnzimmer versammelten und uns unterhielten. Wenn ein wichtiger Punkt zur Sprache kam, bat sie oft einen der Anwesenden, aus einem Buch vorzulesen, mit dem wir uns gerade beschäftigten.
Einmal wurde auch ich spätabends gebeten vorzulesen, was ich mit Freuden tat. Ich war ganz in meine Aufgabe versunken und blickte erst nach ein paar Seiten auf, um zu sehen, ob es Anmerkungen oder Fragen gab. Zu meinem großen Erstaunen waren die Köpfe aller Anwesenden einschließlich Dr. Hunters zur einen oder anderen Seite gesunken. Ich dachte: Offenbar schlafen alle tief und fest. Was soll ich tun? Soll ich weiter vorlesen? Ich beschloss auszuprobieren, ob die anderen tatsächlich weggedämmert waren, und las: »Der göttliche Geist kann auf vielfältige Weise mit den Menschen arbeiten, zum Beispiel in Gestalt eines fünfzehn Meter großen rosa Nilpferdes …«
Ich wartete darauf, dass etwas geschah, aber niemand rührte sich! In jener Nacht hatte ich zwar viel Spaß, kam aber wieder erst um zwei Uhr morgens ins Bett. Mir blieb gerade genug Zeit für ein kleines Nickerchen, bevor ich am Morgen um sieben Uhr wieder im Center erscheinen
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