Mein spanisches Dorf
ja schon sechzehn sein, du blödes Proletenmensch, sage ich, und die Rotzglocke hängt dir schon wieder herunter, weißt du was? Ich bin eine Arzttochter, aber du bist ein Arbeiterkind! Ich bin eine Arbeitertochter, sagt die Anneli. Nein, eine Tochter ist man nur bei etwas Hohem, wie Arzt oder so, und du bist ein primitives Proletenmensch, und die Löwinger-Bühne ist nicht lustig, das glaubst du nur! Und deine Mutter hat unser Fahrrad aufs Fundamt gebracht, weil ihr alle solche Primitive seid! Trotzdem wird man bei jedem Namenstag um ein Jahr älter, schreit die Anneli, weil jedes Jahr ein Jahr vergeht bis zum nächsten, und spuckt mir ins Gesicht.
Die Schwester von der Anneli ist keine richtige Schwester. Sie ist ein Kind, aber kein richtiges. Der Kopf ist ganz klein und die Arme sind weich und lang. Obwohl sie schon fünf Jahre alt ist, kann man mit ihr nicht spielen. Sie ist nur zum Anschauen und zum Füttern. Die Frau Frühwirth schiebt ihr das Futter mit dem Löffel hinein, und wenn die Elvira den Mund zumacht, rinnt es wieder heraus. Die Frau Frühwirth streicht es mit dem Löffel zusammen und schiebt es ihr wieder hinein, bis fast nichts mehr herausrinnt, und die letzten Tropfen, die herausrinnen, fängt sie mit dem Löffel und schluckt sie selbst hinunter. Das dauert lange, bis die Elvira gefüttert ist, aber die Frau Frühwirth schimpft nie. Wie die Elvira stirbt, sagen alle, es ist ein Glück. Aber die Anneli weint, und die Frau Frühwirth besonders. Der Herr Frühwirth hat sich keinen Rausch angetrunken, sondern schön angezogen fürs Begräbnis. Es sind nur ein paar Leute mitgegangen und keine Kinder.
Aber oft ist die Anneli falsch, und dann sage ich: Falsche Katz, rote Haar! Rote Haar, falsche Katz! Und sie packt meinen Zopf und reißt ein ganzes Büschel heraus. Dein Vater ist eh ein Schwarzer, dein Vater ist eh ein Schwarzer! Und ich schreie: Dein Vater ist eh ein Roter, dein Vater ist eh ein Roter!
Einmal habe ich einen schönen Traum gehabt. Meine Mutter sagt, ab heute darf ich mit der Anneli gehen, und die Anneli kommt ins Haus, und wir sitzen im Garten, und der Vater in der Ordination weiß es, daß die Anneli da ist, und die Mutter macht uns eine Jause, und ab heute darf die Anneli jeden Tag zu mir ins Zimmer kommen. Aber dann bin ich aufgewacht. Das habe ich der Anneli erzählt, und sie hat gesagt, ihre Mutter hat auch oft den schönen Traum, daß sie draußen am Friedhof ist, und dort gleich beim Eingang steht das Gitterbett von der Elvira, und die Elvira sitzt drin, und man kann sie füttern.
Sie zeigt auf ihn und sagt: Das ist der Affenzeller Otto. Auf der Promenade ist es finster, und ich kann sein Gesicht nicht sehen, aber ich spüre sofort etwas Wunderbares, und jetzt bin ich mit der Anneli in den Affenzeller verliebt, und wir passen ihn ab, wenn er Karpfen füttern geht. Wir erzählten es der Leitner Lisi und der Roggenschaub Gundula, und jetzt sind wir alle in den Affenzeller verliebt, nur die Glasner Poldi nicht. Die lassen sie ja nicht heraus. Aber der Affenzeller steht auf die Anneli. Auf dem Weg ins Schwimmbad hat er sie hinten geboxt und ist weitergelaufen und hat gerufen: Frühwirth, wennst nix dagegen hast, dann steh ich auf dich. Die Leitner Gerda heiratet einmal den großen Bruder vom Affenzeller. Deswegen darf die Lisi manchmal mitgehen, und sie weiß, daß der Otto ein eigenes Zimmer hat mit lauter Tierbildern.
Auf einem Zettel von der Anneli steht, daß sie vom Affenzeller Otto hunderttausendeinhundertmillionen Küsse haben will und tausendmilliardensechsbillionen Kinder. Ich habe zurückgeschrieben, daß ich vom Affenzeller zweihunderttausendfünfhundertmillionen Küsse haben will und zehntausendmilliardenzehnbillionen Kinder. Den Zettel hat die Schwester Dorothea abgefangen und still gelesen. Und ich bin schmutzig dagestanden wegen meiner Unkeuschheit.
Aber der Affenzeller ist so wunderbar. Er geht schon in die zweite Gymnasium, da sind die Lehrer Männer und so blöd, daß man sie sekkieren kann, und er sekkiert jeden! Er tut sich gar nichts an, sondern lacht höchstens. Dann muß er aus der Klasse hinausgehen, weil der Faßl sagt: Entfernen Sie sich! Den haben sie in Physik, und er sagt Sie. Und im Gymnasium zeigt man nicht mit dem Zeigefinger auf, sondern mit zwei Fingern, oder man darf auch mit der ganzen Hand. Darauf freuen wir uns schon, die Leitner Lisi und ich. Nur die Anneli kann sich nicht freuen. Sie kommt in die Hauptschule und muß noch vier Jahre im
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