Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben
Birgit Prinz, die das deutsche Team in Führung brachte. Mann, hatte ich da ein gutes Gefühl. In der 43. Minute sollte dies allerdings verschwunden sein. Formiga! Die brasilianische Mittelfeldspielerin war es, die unsere »Super-Natze« nach einer langen torlosen Zeit überwinden konnte und den Ausgleich schoss. Kurz vor der Pause, also psychologisch denkbar ungünstig, gelang dieser Treffer. Wir gingen schockiert in die Kabine. Das erste Gegentor. Nadine Angerer, die Unbezwingbare, war geschlagen. Allerdings konnte ihr keiner bei diesem Treffer einen Vorwurf machen, das war ein Sonntagsschuss. Als wir aus den Katakomben des Stadions wieder den Rasen betraten, war das in unseren Hinterköpfen fest verankert. Was dann kam, war für uns Fußballerinnen die Hölle: Wir wurden vorgeführt, Brasilien tanzte uns aus. 1: 2, 1: 3, 1: 4 – Ende. Ich kam damals in der 60. Minute für Melanie Behringer ins Spiel, aber da stand es auch schon 1: 3. Das war es: Finale futsch, Gold unerreichbar. Mann, tat das weh. Das war ein harter Schlag.
Ich kannte Birgit Prinz ja nun schon einige Jahre, an diesem Abend habe ich sie das erste Mal weinen sehen. Auch ich war todtraurig, konnte diese Niederlage kaum begreifen. Das war alles so unwirklich. Aber für Birgit und die anderen erfahrenen Spielerinnen in meiner Mannschaft tat es mir besonders leid. Eins war klar: Sie hatten die letzte Möglichkeit, olympisches Gold zu holen, verpasst. Bei mir besteht die Chance, noch einmal an den Sommerspielen, die alle vier Jahre stattfinden, teilzunehmen. Ich bin noch jung genug. Das tröstet mich ein bisschen.
Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Dr. Theo Zwanziger, die Vizepräsidentin Hannelore Ratzeburg und die Präsidentin des Organisationskomitees für die WM 2011, Steffi Jones, kamen nach der verlorenen Partie sofort in den Stadioninnenraum, um uns zu trösten. Steffi hatte ja selbst noch bis 2007 in der Nationalmannschaft gespielt und wusste genau, wie wir uns fühlten. Es ist schwierig, in solchen Momenten die richtigen Worte zu finden. Was willst du jemandem sagen, dem gerade sein größter sportlicher Traum geplatzt ist? Es war eine seltsame Stimmung da unten. Wir weinten, lagen uns in den Armen, sprachen uns Mut zu und versuchten uns gegenseitig zu trösten. Vergeblich. Die Brasilianerinnen taten das, was sie vor jedem Spiel und nach jedem Sieg immer tun: Sie sangen und trommelten voller Leidenschaft. Sie hatten es uns gezeigt und kosteten diesen Moment voll aus. Für uns war es furchtbar.
An den mitgereisten Journalisten ging die Mehrzahl von unserem Team wortlos vorbei, in solchen Situationen möchtest du nur alleine sein. Jede Frage ist eine zu viel, dir fehlen die Worte. Ich habe aus dem Mannschaftsbus dann Birgit Prinz beobachtet. Mit völlig verheultem Gesicht hat sie sich der Presse gestellt. Das habe ich bewundert. Sie ist selbst in solchen bitteren Momenten ein ausgesprochener Profi, der weiß, was verlangt wird und dass es sich eben auch gehört, in diesen schweren Stunden den Journalisten Rede und Antwort zu stehen, weil auch sie nur ihren Job machen und nicht zum
Relaxen nach China gereist sind. Hut ab, Birgit! Ich konnte es an diesem Abend nicht.
Ansonsten fällt mir der Umgang mit den Medien eigentlich recht leicht. Klar, will man am Anfang als junges Küken nichts Falsches sagen, aber so richtig schlechte Erfahrungen habe ich bisher noch nicht gemacht. Meine Aussagen wurden richtig wiedergegeben, ich hatte nicht das Gefühl, dass mich jemand in die Pfanne hauen wollte. Ich hoffe, dass das so bleibt, und bin dankbar dafür, dass mich mein Management auch in dieser Hinsicht so unterstützt. So gehen Anfragen der Medien erst an die mich betreuende Agentur profipartner24. Von dort aus wird alles koordiniert, Interviews werden dort später gegengelesen und freigegeben. Wenn ich bei der Nationalmannschaft verweile, übernimmt der DFB-Pressesprecher, der stets mit uns reist, diese Aufgaben.
Das Halbfinalspiel gegen Brasilien war sportlich gesehen eines der schlimmsten Erlebnisse in meinem Leben. Doch so richtig Zeit zum Verdauen hatten wir nicht. Uns munterte am nächsten Tag ein wenig die Tatsache auf, dass noch nicht alles verloren schien. Schließlich konnten wir im Spiel um Platz drei zumindest die Bronzemedaille gewinnen. Ein kleiner Trost, der uns 24 Stunden nach einer der bittersten Niederlagen im deutschen Frauenfußball wieder ein wenig Hoffnung gab und uns nach vorne blicken ließ.
Übrigens durften wir
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