Mein wirst du bleiben /
wollte.
»Ich hab immerhin den Arzt geholt, nachdem ich hier angekommen bin«, erklärte der Polizeihauptmeister. »Sie müssen mich nicht so herablassend behandeln.«
Ehrlinspiel hob eine Augenbraue. »Immerhin? Das gehört zu Ihrem Job. Dafür gibt es kein extra Kuchenstück.«
Franz schnaubte, und Ehrlinspiel wusste, dass er nicht nur beleidigt war, sondern voller Verachtung und Neid steckte. Franz hatte nie Karriere gemacht und missgönnte allen Gleich- und Höhergestellten ihren Erfolg. Arbeit schob er am liebsten andern hin und bestand zudem auf dem »Sie« – wahrscheinlich als einziger Polizist des Landes.
Felber drehte den Toten auf den Bauch, fotografierte ihn erneut und maß die Rektaltemperatur. »Der Hausarzt hat ihn nicht ausgezogen.« In seiner Stimme schwang Kritik.
Ehrlinspiel wusste, dass viele Morde unentdeckt blieben, weil der Hausarzt das Misstrauen der Angehörigen nicht auf sich ziehen wollte. Wozu nach Anzeichen für einen gewaltsamen Tod suchen? Man kannte sich schließlich. Und vor allem brauchte man zahlende Patienten, am besten privatversicherte. Andere Ärzte waren einfach zu faul. Über die Dunkelziffer unentdeckter Tötungen in Altenheimen wollte er erst gar nicht nachdenken. Die Erfahrungen des Kriminalhauptkommissars warfen in diesem Punkt kein gutes Licht auf die Ärzteschaft. Auf Lukas Felber dagegen konnte er sich verlassen: Er übernahm keinerlei Angaben ungeprüft – egal, wie umfassend und kompetent diese auch schienen.
»Der Arzt musste zu ’nem Notfall«, erklärte Franz und nahm eine Fernsehzeitschrift zur Hand, deren halbes Titelblatt dem Dekolleté eines plastikgleichen Models gehörte. »Er konnte nicht warten.«
»Und Sie offenbar auch nicht.« Ehrlinspiel wechselte einen Blick mit dem Kriminaltechniker.
»Doktor Wittke hat im Totenschein angemerkt, dass eine Nussöl-Allergie bestand«, fuhr Felber sachlich fort und beugte sich dicht über den Rücken, dann über das Gesäß und die Beine Martin Gärtners. »Keinerlei äußere Anzeichen für einen gewaltsamen Tod. Keine Verletzungen.« Er stand auf und reichte Ehrlinspiel das mehrseitige Schriftstück.
»Todesart ungeklärt«, las Ehrlinspiel neben dem angekreuzten Kästchen.
»Und dabei bleibt es auch für mich.« Lukas Felber nickte.
»Der Hausarzt hat gesagt, dass Gärtner letzte Woche zum Generalcheck bei ihm war.« Der Polizeihauptmeister schlug die Fernsehzeitschrift auf. »Topfit bis auf die Allergie. Aber die ist ihm wohl am Arsch vorbeigegangen.«
Felber nickte, doch sein Seitenblick auf Franz sprach Bände. »Wir schicken ihn zur Obduktion.« Er wandte sich zum Küchentisch. »Du hast das gesehen?«, fragte er Ehrlinspiel, steckte den Kuchenrest in eine luftdurchlässige Tüte, kippte den Kaffee in ein Plastikgefäß und verstaute auch die Tasse. »Er ist mitten beim Kaffeetrinken gestorben. Wenn’s kein Herzinfarkt oder Ähnliches war und er sich dabei vor Angst in die Hosen gemacht hat … Ich schicke das gleich ins Labor der Rechtsmedizin.«
Ehrlinspiel verstand. Gift vielleicht. Drogen. Eine Überdosis an Medikamenten. Freiwillig jedenfalls war der Mann nicht aus dem Leben gegangen. Für einen Suizid wählte man nicht gerade seine Kaffeestunde und aß dazu Erdbeerkuchen. »Ich rufe das Lagezentrum an«, sagte Ehrlinspiel, doch Felber hatte sein Handy bereits am Ohr. »Schickt mir Verstärkung von der Technik«, sagte er. »Außerdem einen Bestatter. Er soll in fünfundvierzig Minuten da sein. Der Tote geht in die Rechtsmedizin.« Er beendete das Gespräch. »Leitest du die Formalitäten in die Wege?«, bat er den Hauptkommissar.
Moritz Ehrlinspiel nickte. Das Prozedere, das die Strafprozessordnung bei Hinweisen auf eine nichtnatürliche oder unklare Todesursache vorschrieb, war Alltag für ihn: Meldung an die Staatsanwaltschaft. Mit den Angaben, wer, wann, wo und durch wen gefunden worden war. Aktueller Kenntnisstand der Kripo. Das Ganze in Kopie an involvierte Stellen – im aktuellen Fall also den Polizeiposten Stühlinger. Das alles konnte er per E-Mail erledigen. Danach würde die Staatsanwaltschaft beim Ermittlungsrichter die Obduktion beantragen.
Die Zusammenarbeit zwischen der Freiburger Kripo und der Justiz war vorbildlich, und wenn eine Obduktion eilig war, erfolgte die offizielle Anordnung meist wenige Minuten später per Fax. Martin Gärtner allerdings – der zählte wohl zu den weniger dringenden Fällen. Kein Hinweis auf Mord. Routine. Zwei Tage würde er mindestens im
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