Meine 500 besten Freunde
hatte kommen lassen, denn weder sie noch ich warfen noch einen Blick hinein. Und ich, die ich seit dem Vorabend nicht zuhause gewesen war, und mich zunehmend unwohl fühlte in den Kleidern, die ich seit dem gestrigen Morgen trug. Sah man uns an, dass wir uns fühlten wie Schauspielerinnen, denen der richtige Ton verrutscht ist?
Ich versuchte noch eine Weile, ein Gespräch in Gang zu setzen, bemühte mich um einen lockeren Plauderton, knüpfte an Themen unserer jüngst vergangenen Treffen an. Nichts half. Eva gähnte und sah immer öfter zur Tür, oder bildete ich mir das ein, sie schien auf etwas zu warten, was aber nicht eintrat. Manchmal brachen ein paar Sätze aus ihr heraus, sie sprach von einer abgebrochenen Diät und von Ärger in ihrem Verlag. Dann sagte sie einmal so lange nichts, dass ich erst dachte, sie überlege gerade etwas und schließlich befürchtete, sie schlafe gerade ein. »Komm«, sagte ich irgendwann, »lass uns gehen. Du bist ganz müde, das ist doch nicht zu übersehen.« Da guckte sie mich auf einmal wütend an, vielleicht war es auch eine andere Gefühlsregung, sie schien jedenfalls zu nichts zu passen, was vorangegangen war. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, fragte »Kann ich so gehen?« und stand auf. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. »Ich bin so dick«, sagte sie vorwurfsvoll, drehte sich um und ging in Richtung der Treppe, die hinab zu den Toiletten führte.
Was für ein seltsamer Abend. Was für eine Erleichterung, endlich kurz allein zu sein. Ich blickte mich um, zog grüßend die Augenbrauen hoch, als der Regisseur mich erkannte und schenkte einem vorbeilaufenden Kellner ein Lächeln, auf das ich ein Nicken als Antwort bekam. Wie beruhigend mir diese kleinen rbeese kleGesten vorkamen, die an diesem Abend genauso funktionierten wie an jedem anderen. Dann konnte es doch wohl nicht an mir liegen?
Als Eva zurück an den Tisch kam, schien eine Verwandlung in ihr vorgegangen zu sein. Sie wirkte heiter, beinahe gelöst. Sie setzte sich, wobei mir ihr Busen entgegenwogte, aber es schien ihr jetzt nichts mehr auszumachen, sie hatte sich die Lippen nachgezogen und roch deutlich nach Seife. »Na?« Sie wirkte unternehmungslustig, der kurze Gang zur Toilette schien sie erfrischt zu haben. Sie strahlte mich an. »Du hast da was«, sagte sie und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die seitlichen Schneidezähne. Ich fasste mir an die betreffende Stelle. »Hier?« »Nein«, sagte sie, »andere Seite.« Ich zog meinen Finger auf die andere Seite, »hier?« Sie schüttelte den Kopf. »Weiter hinten.« »Jetzt?« Wieder schüttelte sie den Kopf. »Dazwischen.« Sie sagte es mit gesenkter Stimme, als dürfe uns niemand hören. »Hier?« Ich war verunsichert. Was konnte dort sein? Ein Blättchen Petersilie vielleicht, aber war das so schlimm? »Warte, ich müsste eigentlich … einen Spiegel …«, sagte Eva und begann in ihrer Tasche zu wühlen. »Weg?«, fragte ich, nachdem ich mit meinem Zeigefinger ein paarmal den betreffenden Zahnzwischenraum entlanggefahren war. Sie guckte hoch und mir prüfend auf die Zähne. »Immer noch«, sagte sie. Ich fuhr noch einmal mit dem Fingernagel zwischen meinen Zähnen entlang. »Jetzt?« »Lass sehen.« Sie guckte mir in den Mund, den ich wie beim Zahnarzt geöffnet hielt. Die Situation war nicht erfreulich. Ich kam mir ausgeliefert und hilflos vor. »Hast du einen Spiegel?«, fragte ich. Sie machte ein bedauerndes Gesicht und zog entschuldigend die Schultern hoch. Leider lag auch kein Messer mehr auf dem Tisch, in dem ich mich hätte spiegeln können, die Kellner hatten längst abgeräumt. »Warte, ich gehe schnell aufs Klo«, sagte ich, stand auf und lief mit gesenktem Kopf durch den Raum, der mir auf einmal viel zu hell vorkam.
Unten auf der Damentoilette brachte ich mein Gesicht nah an den Spiegel, legte den Kopf zurück und öffnete den Mund. Aber da war nichts. Nur Zähne, die sich einer ordentlich an den nächsten reihten. Komisch, dachte ich, als ich die Treppenstufen wieder hinaufging. Seltsam. Was war davon zu halten? Erst später erfuhr ich, dass Eva an diesem Abend schon wusste, dass ich sie seit Monaten mit ihrem Mann betrog.
NADJA VON STETTIN
Folgende Geschichten kursierten über Nadja von Stettin:
– Sie soll einem Journalisten, während dieser ein Interview mit ihr führte, die Hand zwischen der Knopfleiste ihrer Bluse hindurch geführt haben (sie trug keinen BH)
– Sie soll einmal mitten auf den Fußgängersteig
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