Meine beste Feindin
vorwurfsvoll, als sie im Museumsfoyer erschien, das mir zugleich als Büro diente. »Das war im ersten Jahr meines Jurastudiums, wir haben diesen 4-Non-Blondes-Song etwa sechzigmal gegrölt und am nächsten Morgen einen feierlichen Schwur abgelegt.« Sie fröstelte und ließ die schwere Eingangstür ins Schloss fallen, doch zuvor fegte ein eiskalter Wind herein und ließ auch mich zusammenfahren. Ich wickelte mir den Schal, der mich vor der zugigen Museumsluft schützte, noch fester um den Hals.
»Hi, Georgia«, rief ich ihr von meinem Schreibtisch am Fuß der Treppe aus zu. An guten Tagen verlieh das wuchtige Möbelstück mir ein Gefühl von Macht und Kontrolle, und ich blickte dem Tag - und der Tür - selbstbewusst entgegen. An anderen Tagen fühlte ich mich an so exponierter Stelle ein wenig verloren. Heute hingegen war mir die Aktion der letzten Nacht noch immer so peinlich, dass ich keinen Gedanken an die Vor- und Nachteile meines Schreibtisches verschwendete.
»Ich meine ja nur, wenn hier Schwüre gebrochen werden, sollte man mich wenigstens vorher konsultieren«, fuhr Georgia fort. »Mehr wollte ich dazu gar nicht sagen.«
»Wenn ich mich das nächste Mal vor meinem Ex und seiner neuen Schnalle lächerlich mache, die zufällig eine alte Freundin von mir ist …«
»Bist du sicher, dass du je richtig mit Helen befreundet warst? Ich meine, du warst ihre Freundin, aber war sie auch deine? Kann sie überhaupt mit irgendwem befreundet sein, der nicht mit ihr ins Bett will?«
»… also, ich verspreche dir, dass ich dich beim nächsten Mal bei deiner Anhörung oder wobei auch immer stören werde, damit du an meine Seite eilst und mir hoffentlich Einhalt gebietest.« Ich ließ mich in meinen Stuhl plumpsen. »Ich verstehe nur einfach nicht, wie ich mich innerhalb von zweieinhalb Wochen gefühlsmäßig von einer erwachsenen Frau in eine Siebzehnjährige zurückverwandeln konnte. In eine trotzige Siebzehnjährige.«
Georgia stolzierte in ihren kniehohen Gerichtssaal-Stiefeln um meinen Schreibtisch herum, ließ sich in den Besuchersessel fallen und streckte ihre langen Beine aus. Ich nutzte die Gelegenheit, sie eingehend zu mustern. Georgia wirkte erwachsen, weil sie zugleich seriös und sexy aussah. Sie war groß und hatte wilde, völlig unprofessionelle Locken. Sie schimmerten in allen nur erdenklichen Rot-, Braun- und Blondtönen, und das von Natur aus. Ihre Mähne war ihre Waffe, erklärte sie immer. Ihre Haare machten sie scheinbar zur »dummen Gans«, so dass ihre Gegner nicht recht wussten, wie sie einzuschätzen war. Zu der unbändigen Lockenpracht trug sie gerne dunkle, streng geschnittene Anzüge, was alle noch mehr aus dem Konzept brachte.
Das Museum lag durch eine glückliche Fügung des Schicksals nur einen Katzensprung von Georgias Firma entfernt. Dieser geografische Glücksfall brachte es mit sich, dass ich Georgia häufiger zu Gesicht bekam als sonst jemand außerhalb ihrer Firma. Wenn sie in der Stadt war und sich ein paar Minuten von ihren Aktenbergen wegschleichen konnte, tranken wir im Starbucks um die Ecke einen Kaffee oder aßen gelegentlich zusammen zu Abend. Manchmal fühlte ich mich wie das letzte Bindeglied zwischen Georgia und der Außenwelt.
Meine Freundin ließ den Blick schweifen und labte sich an der trägen Nachmittagsruhe im Museum, die nur durch Minervas neueste Leidenschaft gestört wurde: Opernarien. Aus ihren Räumen drang dramatische Musik, die das ganze obere Stockwerk zu durchfluten schien. Georgia zog eine Augenbraue hoch und wies mit dem Kinn in Richtung Treppe.
»Sie ist schon fast einen Monat auf dem Arien-Trip.« Ich zuckte mit den Achseln. »Ich rechne jetzt jeden Tag mit etwas Neuem. Willst du einen Tipp abgeben?«
»Ich erhole mich noch immer von ihrem Flirt mit dem Grunge-Rock, etwa zehn Jahre zu spät«, murmelte Georgia düster. »Ich lasse mich auf keine Prognose mehr ein.«
Falls ich es noch nicht erwähnt haben sollte - Minerva sang. Und zwar schlecht. Unglaublich schlecht. Ganz im Gegensatz zu mir hatte sie ihre Träume vom Ruhm niemals aufgegeben, und sie hätte sich für ihr Leben gern für die Gesangshow American Idol beworben, wäre da nicht ihre panische Angst vor Jurymitglied Simon Cowell. Dienstags und donnerstags machte sie allein Karaoke-Bars unsicher und bestand zum Entsetzen der anwesenden Geburtstagsgesellschaften und sonstigen Gäste darauf, im Laufe des Abends fünf oder sechs Songs ins Mikro zu schmettern. Woher ich das wusste - darüber
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