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Meine erste Luege

Meine erste Luege

Titel: Meine erste Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Mander
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das dich ganz intensiv anschaut. Halbwaise zu sein ist jedenfalls ein bisschen eine Krankheit, denn es macht dich komisch, und es gibt Sachen, die du ohne einen Vater nicht tun kannst.
    Als Mama mir das erste Fahrrad geschenkt hat und mit mir auf den Parkplatz gegangen ist, um mir Radfahren beizubringen, und ich meine ersten drei Runden gedreht und versucht habe, nicht gegen die Stoßstangen der Autos zu stoßen und nicht gegen die Planken aus Beton, und mich trotz der Aufregung angestrengt habe, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, hat der Reifen vorne bei der dritten Runde ein Loch bekommen und psss gemacht, ein Geräusch wie ein furzender Schmetterling.
    Â»Uff, und wer kann jetzt einen Platten flicken?«
    Ich, mit einem Platten und mit eingezogenem Schwanz:
    Â»Macht nichts, dann gehen wir halt nach Hause.«
    Man gewöhnt sich daran, ich bin daran gewöhnt.
    Klar, wenn Mama so ist, dass es einem vorkommt, als ob sie nicht die Bohne kapiert, wie man sich fühlt, wenn man das neue Fahrrad nach Hause schieben muss, würde ich alles tun, sie aus dieser Macht-nichts-Blase rauszuholen. In der verkriecht sie sich, sobald sie kann, und hält die Nase hoch in die Luft, als würde die Sache sie nichts angehen oder als gäbe es da oben, über den Häusern, über den Dingen, über den Flachdächern, unter dem Himmel, der eine Farbe wie Bauchweh hat und wo man nie Möwen fliegen sieht, eine Antwort, die Lösung, die wir brauchen: einer, der platte Reifen repariert, ein Flickenladen, nur gerade leider wegen Urlaub geschlossen. Dann könnte ich sie manchmal erwürgen, das schwöre ich, aber nur, wie man so sagt, ich möchte nie und nimmer Vollwaise werden, denn dann sitzt man echt in der Scheiße. Wenn du Vollwaise bist, holen sich dich und stecken dich in ein Heim. Sie legen dir eine Hand auf die Schulter und bringen dich in deine Zelle. Wenn du keinen Vater hast, na ja, aber wenn du beide nicht hast, Mama und Papa meine ich, dann denken sie, es könnte ansteckend sein, also stopfen sie dich in eine Art Krankenhaus, wo alle wie du sind, auch wenn sie genau wissen, dass man nicht wieder gesund werden kann. Sie sperren dich in dieses Krankenhaus ein, und du musst tun, was sie sagen, du hast dein Zuhause nicht mehr, dein Zimmer nicht mehr, du hast nur eine Schweinsdreckkrankheit. Auch deshalb gebe ich auf die Kleinigkeiten acht.
    Ich erinnere mich an solche Kinder, aus einem Film, den ich gesehen habe, als ich klein war. Ganz viele Kinder zusammengepfercht in eisernen Feldbetten mit verrosteten Scharnieren wie die im Altenheim oder die im Gefängnis und im Irrenhaus. Wer allein ist, ob alt oder jung, endet, egal jetzt mal warum, immer an solchen Orten, weil sie nicht wissen, wohin mit den einzelnen Leuten, also tun sie sie alle auf einen Haufen und hoffen, dass sie sich Gesellschaft leisten.
    Mama, das muss ich zugegeben, versucht ab und zu, mir einen neuen Papa zu beschaffen, aber dann, ich weiß nicht warum, läuft es nie, wie es soll.
    Â»Der Papa ist tot, es lebe der nächste Papa.«
    Sie sagt das, wie um sich zu entschuldigen, hebt die Schultern und seufzt, dann verschwindet sie in dem Kragen vom Pullover wie eine Schildkröte in ihrem Panzer, lacht mit hellen und feuchten Augen und umarmt mich mit einer Bewegung, von der man sieht, das sie ihr Mühe macht – als wäre das Heben der Arme ein Gewichtheben, und wenn sie mich umarmt, lädt sie ein bisschen von dem Gewicht auf mich ab. Mama findet den Spruch witzig, und ich weiß, es ist nicht ihre Schuld, wenn man nicht lachen muss.
    Gewöhnlich sagt sie dann:
    Â»Wollen wir nicht schlafen gehen? Ich muss morgen früh aufstehen.«
    Der letzte Papa zum Beispiel war eigentlich nett, aber mir gefiel er nicht, weil er einen Bart hatte, der kratzte und wie die Sitze im Zug roch. Er wirkte schmutzig, oder eher als schmutzig wirkte er arm, und wir können keinen heruntergekommenen Papa brauchen. Wenn wir wirklich einen nehmen müssen, dann soll er wenigstens normal sein, damit man sich nicht schämen muss. Ich habe es satt, mich dafür zu schämen, dass ich anders bin.
    In der Schule halten sie uns eine Menge Predigten darüber, dass wir jeden, der anders ist, akzeptieren sollen: die Kinder aus Nicht- EU -Ländern, die Behinderten, die aus schwierigen Familienverhältnissen, diejenigen, die keinen Schinken essen, diejenigen, die kein blutiges Fleisch essen, diejenigen, die nur

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