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Meine erste Luege

Meine erste Luege

Titel: Meine erste Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Mander
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vollkommen in sich selbst versunken, in einem so tiefen und fernen Traum, dass sie kein Lebenszeichen von sich geben kann. Aber man weiß ja nie.
    Vielleicht ist Mama tot.
    Ich habe noch nie einen Toten gesehen, ich bin mir nicht sicher, wie so einer ist. Oder besser gesagt: Ich habe einen gesehen, einmal auf der Autobahn, aber er war mit einem Tuch zugedeckt, also habe ich das Tuch gesehen, das hat keinen großen Eindruck auf mich gemacht. Alle Autos sind langsamer gefahren, um zu glotzen, aber es gab nichts zu sehen. Mama und ich fuhren übers Wochenende weg, all die anderen wahrscheinlich auch. Wir haben geblinkt, sind zurück in den fließenden Verkehr, Mama hat das Radio angemacht, der Ansager redete Blödsinn, wir hatten die Sonne im Gesicht, eine starke, sengende Sonne, die nichts mit dem Toten zu tun hatte.
    Auch Mama ist jetzt zugedeckt. Aber ihr Gesicht ist auf dem Kissen, sie ist nicht frisiert. Ihre Haare sind so ähnlich wie die von der Frau auf einem berühmten Gemälde, das was mit dem Frühling zu tun hat, oder dem Sommer, aber ihre Haare sind Zweige von einem Baum, der verkehrt herum gewachsen ist, wie Wurzeln ohne Erde. Was soll ich tun? Vielleicht sollte ich sie kämmen, besser, die Haare sollten immer ordentlich aussehen. Was soll ich tun? Soll ich noch ein bisschen warten oder gleich Hilfe holen? Ich kann keine Hilfe holen. Wenn Mama tot ist, darf ich es keinem sagen. Wenn ich es sage, bringen sie mich ins Waisenhaus.
    Es ist schrecklich.
    Ich will da nicht hin.
    Ich will nicht Vollwaise sein.
    Alles andere lieber als das.
    Lieber sagen, dass Mama verreist ist.
    Oder nichts sagen und so tun, als wäre nichts.
    Lieber herausfinden, wie man sich durchschlägt, das ist bestimmt nicht so schwierig. Lieber versuchen zu überleben.
    Lieber alles hinter einem Lächeln verbergen.
    Lieber die Phantasie benutzen, sich was Besonderes einfallen lassen.
    Lieber hoffen, dass alles schnell vorbeigeht.
    Lieber dreitausend Liegestütze hintereinander machen, sieben Stockwerke Treppen auf einem Bein, Teilen im Kopf.
    Lieber Kolly den Koala begraben.
    Lieber an was Besseres denken.
    Lieber glauben, dass es Mama bald viel besser geht.
    Stimmt es, Mama, dass es dir bald besser geht?
    Lieber nicht vergessen, dass es Schlimmeres gibt.
    Aber wenn Mama tot ist, was könnte es da noch Schlimmeres geben?
    Ich muss auf die Kleinigkeiten achtgeben und daran denken, nicht zu weinen. Wenn ich weinen muss, sage ich, mir ist eine Mücke ins Auge gekommen, oder noch besser, ich sage, mir ist ein Hirschkäfer reingeflogen, oder ein Hirsch, dann denken sie, es ist ein Witz, und kümmern sich nicht weiter darum.
    Wir sitzen auf dem Bett, Blu und ich, und wissen nicht, was wir machen sollen. Blu trippelt hin und her, schnuppert mit gekräuselter Nase, als würde er was suchen, trampelt auf den verblühten Blumen der Tagesdecke herum, schnüffelt an Mama, kratzt mit der Pfote und gräbt eine kleine Grube in die Bettlaken, bleibt mit einer Kralle hängen, sieht mich aus seinen runden Augen an.
    Â»Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll, Blu, tut mir leid. Ich kann es auch nicht ändern.«
    Plötzlich wirbelt ein gigantisches Nichts durch meinen Kopf und wird immer größer. Mein Hirn ist ein leeres Heft, noch nie aufgeschlagen, mir fällt keine Geschichte ein, es gibt nicht mal Linien, an die man irgendein Phantasiewort hängen könnte. Das Nichts, das den Kopf überflutet und den Blick vernebelt, lässt mich nichts tun. Eine riesige Fläche aus Nichts, wie aus Eis. Der Weihnachtsmann ist vorbeigekommen, aber der Schnee hat seine Fußstapfen zugedeckt, Blu hat kleine weiche Kissen unter den Pfoten, er hinterlässt keine Spuren, die Rentiere sind verschwunden, irgendwo hinten sind irgendwelche Haufen, vielleicht sind es Iglus, Häuser aus Eiswürfeln, mir ist eiskalt, ich habe Angst vor den Häusern aus Eiswürfeln.
    Den Weihnachtsmann gibt es nicht, das weiß ich schon lange. Ein weißes Plüschtier driftet ab, ein Eisbär auf seinem Eisberg, er weiß nicht mehr, ob er noch irgendwo ankommt, sein Bild ist überall.
    Ich bin immer noch erstarrt.
    Drei Chinesen mit dem Kontrabass saßen auf der Straße und erzählten sich was, da kam die Polizei, und wir sitzen alle im Schweinsdreck.
    Ich kann niemandem was erzählen.
    Es vergeht ich-weiß-nicht-wie-viel Zeit.
    Ferngesteuert finde ich mich im Wohnzimmer wieder. Blu und ich

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