Meine erste Luege
Ich glaube, es ist normal, in so einem Fall zu weinen, ein normales Kind würde weinen. Also weine ich, so viel ich kann, es sieht mich ja sowieso keiner. Aus meinen Augen strömt warmes Wasser, während der Eisbär auf seiner kalten Scholle von der Strömung davongetragen wird.
Als der Tränentank leer ist, mache ich den Fernseher an.
»Manchmal helfen einem blöde Sendungen dabei, an nichts mehr denken zu müssen.«
Hoffen wir, dass Mama recht hat.
Im Fernsehen ist ein berühmter Koch, der den Leuten Kochen beibringt. Vor einer Gruppe von Damen in Abendkleidern schlägt er Eier auf, und sie machen alles nach, was er macht, und schlagen die Augen auf und zu und mit den Armbändern auf die Kochtöpfe. Ich könnte was SüÃes für Mama machen, für wenn sie wach wird, Teestunde, sagt sie, weil das hat, sagt sie, Oma immer so gesagt. Zu schwierig. Ich mache ihr Apfelkompott, das ist nicht schwer. Man braucht nur: Ãpfel, Zucker nach Geschmack, Wasser, Limonenschale.
Das tut gut, wenn es einem schlecht geht. Auch wenn es nach Krankenhaus riecht.
Ich bin nur einmal im Krankenhaus gewesen, weil ich hatte Lungenentzündung, und die Schwestern haben mir Kekse geklaut und dafür Ãpfel gegeben. Sie kamen nachts, wie Hexen, mit ganz kaputten Schuhen. Mama wollte es nicht glauben, dass Krankenschwestern einem Kind Kekse klauen.
Ich schneide die Ãpfel in vier Stücke, gebe Zucker dazu. Die Ãpfel schwimmen im Topf wie Eisberge oder Schiffe, die schon ein Stück untergegangen sind. Wie die Titanic . Als sie fertig sind, kippe ich sie in eine Tasse, warte, dass sie ein bisschen abkühlen, und bringe sie ihr, gebe acht, dass ich nicht über den Teppich im Flur stolpere, die Tasse klirrt auf der Untertasse, als zitterten mir die Hände.
Ich lasse die Tasse auf dem Nachttisch, weil Mama jetzt keine Lust auf die Ãpfel hat.
Ein Buch, Liebeswahn , fällt mit einem dumpfen Schlag herunter, Mama merkt es nicht, auf dem Umschlag ist ein Foto von einem HeiÃluftballon, mit Leuten darin, die hoch fliegen.
Das Telefon klingelt, Mama hört nichts.
Das Telefon steht auf dem Boden, mit total verdrehtem Kabel.
»Mama ist nicht da. Ja, später. Ciao.«
Ich kreuze die Finger, weil ich lüge.
»Mama, das war Giulia. Mama, willst du nicht mit Giulia reden?«
Giulia ist Mamas Freundin, bei der sie sich stundenlang über alles beklagen kann. Auch ihre Freundin beklagt sich über alles, aber sie ist fröhlicher, ich glaube, dass sie es nur tut, um Mama Gesellschaft zu leisten. Giulia und Mama sprechen oft über Männer, normalerweise sprechen sie schlecht über sie.
»Als ob ich das nicht wüsste, das musst du mir nicht sagen!«
Vor ein paar Sonntagen haben wir einen Ausflug gemacht, mit Giulia. Giulia ist nicht so übel, auch wenn sie rote Fingernägel hat und ich keine roten Fingernägel mag.
»Guck mal, du hast so rote Krallen wie ein Huhn.«
Sie war nicht beleidigt, hat sogar angefangen zu lachen.
»Weil ich ein Huhn bin!«
Auf dem Hof vom Restaurant, wo wir essen gegangen sind, gab es Hühner.
»Fass die Hühner nicht an, die sind schmutzig, und wasch dir die Hände.«
Und auch Kaninchen, alle Farben, ganz weich, wenn man sie streichelt.
Ich esse nie mehr Kaninchen, das schwöre ich, nie mehr, und auch kein Pferd und auch kein Lamm.
»Und auch kein Eis?«
»Was hat Eis denn damit zu tun? Eis hat kein Fell.«
Mir gefallen die Tiere mit Fell am besten, ich hätte davon gerne alle Arten. Ich glaube, Leute, die Tiere mögen, sind netter, sie verstehen auch die Menschen besser, es wäre schön, Tierarzt zu sein und auch die groÃen Tiere zu heilen, Löwen und Leoparden und Geparden. Das möchte ich mal werden, wenn ich groà bin: Tierarzt für GroÃkatzen. Wir haben einen Film über Löwen. Wir kriegen es nie satt, den anzusehen, Mama und ich. Sie sagt, ihr gefallen Löwen, weil sie stark und muskulös sind, und wenn sie brüllen, »bekommt man eine Vorstellung von unendlicher Kraft«. Und dass das Brüllen des Löwen der Lärm aus der Mitte der Erde ist, oder von dem, was wir gewesen sind, bevor wir gezähmt wurden.
Sie sagt, sie zeigt sie mir, früher oder später.
»Wenn du gröÃer bist, wenn wir mehr Geld haben«, wenn dies und wenn das.
Die Afrikaner sagen, Gott hat Katzen geschaffen, damit die Menschen Löwen streicheln
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