Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Kinderjahre

Meine Kinderjahre

Titel: Meine Kinderjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
wieder von mir. Das Komisch-Groteske der Szene riß mich dann heraus, und ich hatte wieder meinen Frieden.
     
Zehntes Kapitel
     
Wie wir in unsrem Hause lebten (Fortsetzung) – »Große Gesellschaft«
    Etwa um ebendiese Zeit begann auch das gesellschaftliche Leben, und zwar in Gestalt einer Reihe von Woche zu Woche wiederkehrender Gastereien. Über diese Gastmähler, unter denen manches insoweit dem des Belsazar glich, als eine Geisterhand schon den Bankrott des Gastgebers an die Wand schrieb, habe ich in ihrer Totalität nur immer berichten hören, was aber von diesen mal kleineren, mal größeren Gesellschaften auf speziell unser Haus entfiel, das habe ich mit Augen gesehen, und davon will ich in Nachstehendem erzählen.
    Waren wir an der Reihe, so bemächtigte sich des ganzen Hauses eine feierliche Stimmung, die mit der Stimmung bei Hochzeiten eine gewisse Ähnlichkeit hatte, wie denn auch die bekannte Dreiteilung von Polterabend, Hochzeit und Lendemain in der Gestalt von Vorbereitungstag, eigentlichem Festtag und Resteressen wiederkehrte. Welchem dieser drei Tage der Preis gebührte, mag unentschieden bleiben, doch glaube ich fast, daß mir der erste Tag der liebste war. Er verlief zwar unmateriell und entsagungsreich, hatte dafür aber die Vorahnung kommender Herrlichkeiten.
    An diesem Vorbereitungstage erschien, wie in allen anderen Häusern, so auch bei uns die Witwe Gaster, eine renommierte Kochfrau. Sie vereinigte Behagen und Würdigkeit in ihrer Erscheinung und wurde, dieser letzteren Eigenschaft entsprechend, mit Respekt und unbedingtem Vertrauen behandelt. Sie lebte, bei begreiflicher Abneigung gegen alles das (besonders Süßigkeiten), was sie tagaus, tagein zu produzieren hatte, beinah ausschließlich von Rotwein und entlehnte das wenige, was sie nebenher noch an Nahrung brauchte, dem beständigen Fettwrasen, in dem sie stand. Ihr Eintritt in unser Haus war für mich gleichbedeutend mit Postofassen in Nähe der Küche, wo nun alles, was sich vollzog, von mir beobachtet, beziehungsweise bewundert wurde. Den Anfang machte immer die Herstellung eines Baumkuchens. Als die Gaster, die darüber Buch führte, den tausendsten fertig hatte, gaben ihr die Swinemünder Hausfrauen ein wohlverdientes Fest. Es gibt auch heute noch Baumkuchen, gewiß; aber die jetzigen sind Entartungen, schwächliche, schwammartige Bleichenwangs, während die damaligen eine glückliche Festigkeit hatten, die sich an den gelungensten Exemplaren bis zur Knusprigkeit steigerte, begleitet von einer vom dunkelsten Ocker bis zum hellsten Gelb reichenden Farbenskala. Ich war immer glücklich, dem Werdeprozeß solches Baumkuchens zusehen zu können. Auf einem riesigen Herde befand sich nach der Wand hin ein aus Ziegelsteinen aufgemauertes, niedriges Halbgewölbe, das, nach oben zu dachartig vorspringend, nach unten zu schräg zurücktrat. An dieser zurücktretenden Stelle zog sich ein wohl vier Fuß langes schmales Kohlenfeuer hin, an das nun zwei kleine Eisenständer mit aufgelegtem Bratspieß und Drehvorrichtung herangerückt wurden. Der auf diesen Ständern ruhende Spieß aber gab sich nicht einfach als solcher, vielmehr war ihm ein seiner ganzen Länge nach ausgehöhlter und nach außen hin mit gefettetem Papier überzogener Holzkegel aufgeschoben, der bestimmt war, die Seele des herzustellenden Baumkuchens zu bilden. Und nun, mit Hilfe eines an einem langen Stocke steckenden Blechlöffels, begann das Aufgießen eines dünnflüssigen, anfangs immer wieder herabtröpfelnden Teiges, so daß das eingeschlagene Verfahren eine ganze Zeit lang wie vergeblich erschien. Von dem Augenblick an aber, wo die Teigflüssigkeit konsistenter und das Abtropfen langsamer wurde, regten sich auch die Hoffnungen wieder, und ehe ein paar Stunden um waren, konnte der prachtvoll gebräunte, zugleich zackenreiche Baumkuchen von dem Holzkegel heruntergenommen werden. Alles dabei war von symbolischer Bedeutung. An das volle Gelingen dieses Pracht- und Schaustücks knüpfte sich das Vertrauen auf das Gelingen des Festes überhaupt. Der Baumkuchen stellte dem Ganzen das Horoskop.
    Über die Küchentätigkeit des eigentlichen Gesellschaftstages geh ich hier hinweg und führe statt dessen lieber das Fest selbst herauf. Es wurde dann – ein anderer Raum stand nicht zur Verfügung – ein langer Ausziehtisch in den Salon meiner Mutter geschafft, und alsbald zog sich an dem gelben Moirésofa mit den dreihundert Silbernägeln entlang die wohlgedeckte Tafel hin. Erst

Weitere Kostenlose Bücher