Meine Kinderjahre
ging es los, eine sogenannte Eruption.« Er sprach dann noch eine Weile so weiter und hinterließ uns in einem sehr aufgeregten Zustande. Dann und wann, wenn ein Windstoß kam, fielen große Stücke Ruß aus dem Rauchfang auf den Herd, und wenn dann die glimmenden Scheite aufflackerten und auseinanderflogen, fuhren wir zusammen, und ich meinerseits dachte: Wenn es hier doch vielleicht vulkanisch wäre!
Wie die Nacht verging, weiß ich nicht mehr, aber das weiß ich, daß wir am andern Tage sehr enttäuscht am Frühstückstisch saßen. Der Wind, ein richtiger Nordwester, war ganz nach Westen herumgegangen, die Stauung hatte aufgehört, und das Wasser im Strom stand nicht viel höher als gewöhnlich. Es blieb uns also nichts anderes übrig, als unsere Mappen zu packen und unsern Schulgang ganz alltäglich zu Fuß anzutreten, während wir doch mit Sicherheit darauf gerechnet hatten, in einem Boot in die Schule fahren und unterwegs bei Bäcker Woltermann unsere Frühstücksbrötchen kaufen zu können. Ein kleiner romantischer Hang saß uns allen tief im Geblüt und blieb uns auch für manches weitere Jahr. 1848, wo wir Kinder doch alle schon erwachsen waren, kriegten wir noch einmal einen starken Anfall von dieser Lust am Abenteuerlichen. Wir lebten damals im Oderbruch und verfolgten die durch die Märztage auch in der Provinz Posen heraufbeschworenen Vorgänge. Eines Tages hieß es: »Die Polen kommen; sie stehen schon südlich von Küstrin und wollen auf Berlin zu, um mit dem Berliner Volk zu fraternisieren.« Ich hielt es eigentlich für Unsinn, trotzdem regte mich die Nachricht angenehm auf, meine Geschwister noch viel mehr, und alle Stunden gingen wir auf die höchstgelegene Bodenstube, um von dort aus Ausschau zu halten. Als es zuletzt hieß, »sie kommen
nicht«,
waren wir eigentlich traurig; Konfederatka, rote Schärpe, Übungsversuche im Französischen, all das wäre doch mal was anderes gewesen.
Ach Gott, wie einem die Tage
Langweilig hier vergehn,
Nur wenn sie einen begraben,
Bekommen wir was zu sehn ...
Es liegt eine furchtbare Wahrheit in der Einsamkeits-und Verlassenheitsstimmung dieser Heinischen Strophe. Wir wenigstens waren damals ihrer Wahrheit untertan.
Zwei Jahre später, Anfang Januar 32, hatten wir wieder ein am Strom spielendes Ereignis. Aber diesmal war es keine Sturmflut, sondern ein kleines Eisabenteuer. Die Tage nach Weihnachten waren ungewöhnlich milde gewesen, und das Eis, das schon Anfang Dezember das Haff überdeckt hatte, hatte sich wieder gelöst und trieb in großen Schollen, die übrigens den Bootverkehr nach der Insel Wollin hinüber nicht hinderten, flußabwärts dem Meere zu. Silvester war wie herkömmlich gefeiert worden, und für den zweiten Januar stand ein neues Vergnügen in Sicht, von dem ich mir ganz besonders viel versprach: Mein Freund Wilhelm Krause, der schon als Schüler und Pensionär des bekannten Direktors von Klöden die Gewerbeschule besuchte, mußte am 3. Januar wieder in Berlin sein, und seitens seines Vaters, des Kommerzienrats, war mit einigen Freunden verabredet worden, dem liebenswürdigen Jungen bis nach dem jenseitigen Ufer hinüber, von wo dann die Fahrpost ging, das Geleit zu geben. In einem sichren Eisboote wollte man zwischen den Schollen hindurch die Partie machen, alles in allem acht Personen: erst zwei Bootsleute, dann der Kommerzienrat und sein Sohn, dann Konsul Thompson und Sohn und schließlich mein Vater und ich. Ich freute mich ganz ungeheuer darauf. Einmal, weil es was Apartes war, und nicht minder, weil eine glänzende Verpflegung in Aussicht stand. Es verlautete nämlich, daß drüben im Fährhause gefrühstückt und wir drei Jungens mit Eierpunsch und holländischen Waffeln regaliert werden sollten. Ich nahm mir vor, weil mir dies männlicher erschien, mich ausschließlich an den Eierpunsch zu halten, blieb aber später nicht auf der Höhe dieses Entschlusses. Um neun sollte das Boot von »Krausens Klapp« abgehen. Wir waren auch alle pünktlich da, nur das Boot nicht, und als wir eine Weile gewartet, erfuhren wir, wovon uns übrigens der Augenschein bereits überzeugt hatte, daß der über Nacht eingetretene starke Frost die Schollen zum Stehen gebracht und die kleinen Wasserläufe dazwischen mit Eis überdeckt habe. Das hätte nun nichts auf sich gehabt, im Gegenteil, wenn nur die Eisdecke um einen Zoll dicker gewesen wäre; sie war aber sehr dünn, und so standen wir vor der Erwägung, ob ein Überschreiten des Flusses
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