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Meine Kinderjahre

Meine Kinderjahre

Titel: Meine Kinderjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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französischer Wörter wie massacre, sangfroid, pitoyable, zu denen er immer griff, wenn er etwas scharf markieren wollte. Mir war zumut, als ob wenigstens ein Unwetter heraufziehen oder eine Sonnenfinsternis stattfinden müsse; es kam aber nichts derart, und in verhältnismäßig kurzer Zeit – was mit dem langen Schweben des Prozesses zusammenhängen mochte – war alles vergessen.
    Indessen bei dem geringsten Anstoß, und der kam öfter als mir lieb war, war die Sache doch wieder da. Das Mohrsche Ehepaar hatte einen Sohn hinterlassen, einen schwarzen, etwas sonderbaren Jungen in meinem Alter, der wie ein Igel aussah, so standen ihm die kurzen starren Haare vom Kopf ab. Er merkte auch, daß ich ihm nach Möglichkeit aus dem Wege ging, aber er war mir darum nicht gram, denn er hatte bei den Begegnungen doch wohl herausgefühlt, daß sich in mein Entsetzen viel Teilnahme über sein Geschick einmischte.
    Schließlich war ich wohl nur noch der einzige, der sich mit der Sache, wenigstens vorübergehend, beschäftigte. Und das kam so. Jahrelang hatte das kleine Staketenzaunhaus, drin der Mord geschehen war, leer gestanden, und die Blumen in dem halb verwilderten Vorgarten blühten für niemanden. Da, im Sommer 30, als ich bei untergehender Sonne mit meinem Papa vom Seebade zurückkam und bei der Gelegenheit auch den Rathausplatz und das Staketenzaunhaus passierte, sah ich mit einem Male, daß die bis dahin geschlossenen grünen Jalousien aufgemacht und die kleinen Fenster des Wohnzimmers geöffnet waren. An einem derselben aber saß ein Gerichtsaktuarius, ein fideler Herr, den ich sehr gut kannte, und blätterte, während er Tabakswolken in die Luft blies, in einem vor ihm liegenden Aktenbündel. Er saß so, daß er eine gelbe Malvenstaude links und eine rote rechts hatte. Das Ganze war ein Bild äußersten Behagens. Ich wies darauf hin und sagte zu meinem Vater: »Das ist ja gerade die Stube ...« – »Ja, das ist die Stube«, wiederholte er, »mein Geschmack wär es auch nicht.« Aber mit dieser kurzen Bemerkung war es abgetan, und ich empfand an jenem Tage zum ersten Male, was ich seitdem so oft empfunden habe, daß es mit den Schreckensdingen eine eigene Bewandtnis hat, geradeso wie mit der Einwirkung von Sturm und Unwetter auf uns. Einige können bei Sturm nicht schlafen, andere aber schlafen dann am besten und wickeln sich mit einem ganz besonderen Behagen in ihre Decke.
     
    Mein Vater, als wir vom Rathausplatze samt seinem seine Pfeife schmauchenden Aktuarius wieder nach Hause kamen, erzählte natürlich von meinem Entsetzen über das wieder bewohnte Haus. Alle lachten mich aus, besonders die Dienstleute, und die gute Schrödter sagte: »Das fehlte auch noch, daß solch Kerl wie Mohr arme Leute um ihre Miete bringt.« Ich mußte mir den Spott gefallen lassen, und mein Vater, der guten Schrödter zustimmend, sprach von Weichlichkeit und Schwäche. Trotzdem traf es sich so, daß dasselbe Jahr noch mir und meinem Angstgefühle zu einer Art Rechtfertigung verhalf, und zwar war es mein Papa selber, den die längst abgetane Geschichte sehr gegen seinen Willen doch wieder gepackt haben mußte.
    Der November hatte mit einem richtigen Nordwester eingesetzt, und was nicht hinaus mußte, saß am warmen Ofen. Mein Vater aber, der sich sagen mochte, daß sein Schimmel, der überhaupt immer über sein Tun und Lassen entschied, schon seit einer halben Woche nicht aus dem Stall gekommen sei, setzte sich in den Sattel und ritt auf den Strand zu. Spätnachmittag war es stiller geworden, und die Mondsichel stand schon blaß zwischen zerrissenem Gewölk, als er, die Dünen passierend, plötzlich in unmittelbarste Nähe der Stelle kam, wo sie »Mohr und seine Frau« eingescharrt hatten. Und jetzt sah er auch dicht neben sich den kleinen Schlängelpfad, der auf die Stelle zuführte. Da mit einem Male wollte der Schimmel nicht weiter, bog nach rechts hin aus und prustete und schäumte so, daß es die größte Mühe kostete, an der Stelle vorbeizukommen. »Ich wette, der Schimmel hat gewußt, da liegt Mohr; oder er hatte wenigstens die Witterung.« Meine Mutter aber lachte: »Wenn sich doch alles so leicht erklären ließe.
Du
hast dich geängstigt, und als das Tier deine Angst merkte, da kam es auch in Angst. Ich glaube nicht an Spuk; aller eh ich glaube, daß sich dein Schimmel um Mohr und seine Frau kümmert, da glaub ich doch noch eher an den alten Geisler oben.«
    Die Schlußworte waren scherzhaft gemeint; ich nahm sie aber sehr

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