Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
Erster Teil
Erstes Kapitel
Die Wüste! Wie ein Leichenhemd bleicht sie im Westen. Leer, öde, wie der Tod, liegt sie dort; ihre gelblichweißen Sandkörner dürsten unter der sengenden Sonnenglut bis an den Himmel; bis dahin, wo sich sein schönes Blau in gelbroten Duft verwandelt, stößt die arme, menschenverlassene, löwenbewohnte Wüste. Dort weiter im Westen liegt die Oase Amun, wie ein verlorner Smaragd, grün, blühend, üppig. Aber im Osten blinkt der Nil durch goldene Ähren. Welcher Gegensatz. Hier Tod, da Leben. Hier Trauer, dort Freude; denn haarscharf grenzt an den Sand das Gras, unmittelbar an den Garten Ägyptens stößt die Wüste; nur so weit die Überschwemmung des Nils reicht, gedeiht das Land. Und welches Land! Dort die nackten Arbeiter auf der Pyramide, wenn sie erschöpft die Werkzeuge sinken lassen, erquicken sich oft an dem Anblick dieses Landstrichs, der sich mit seinen Auen, Ährenfeldern, Kanälen, Häfen, Tempeln und rötlichen Steingöttern vor ihnen ausbreitet; dicht an die Wellen des Flusses geschmiegt, wie der goldschimmernde Prachtmantel eines Königs. Es sind jüdische Arbeiter, verachtete Ebräer, die dort unter dem Geißelhieb ägyptischer Bauaufseher, vom Glutwind der Wüste angehaucht, im Schweiße ihres Angesichts dem König Ramses das Grabmal bauen. Der Bau naht seiner Vollendung; Stufe türmt sich auf Stufe; bis zur höchsten Spitze schwindeln die Treppen empor, dort aber soll die Kolossalstatue des Königs ihren Platz finden. Dies schwierige Werk auszuführen, ist man im Augenblick beschäftigt. Eine schiefe Ebene führt über die menschenwimmelnden Treppen empor bis zum Gipfel des Riesengrabes. Auf diesem schiefen Weg steht das Steinbildnis des Königs. Die Arme dicht am Leib, die Hände auf den Knien, starrt es mit feierlicher Ruhe die zahllosen Arbeiter an, die bemüht sind, an Walzen und Stricken das granitene Ungetüm in die Höhe zu rollen. Auf den Knien des Bildes steht ein Oberaufseher, mit den Händen den Rhythmus angebend, unter welchem die Männer zu ziehen haben; ein vor ihm stehender Gehilfe markiert den Takt durch aneinandergeschlagene Stäbe. Zur Seite wandeln Wasserträger, von welchen der vorderste den schiefen Weg übergießt, die Bahn glatt und kühl zu halten. So bewegt sich das Bild des Königs langsam seinem Bestimmungsort entgegen. Unten hält der König in eigner Person und schaut von seinem Streitwagen aus dem Werke zu. Er ist im Begriff sich mit dem kriegslustigen Volk der Chetas in einen Kampf einzulassen, aber bevor er sein Ägypten verläßt, will er sein Bild auf den Gipfel seines Grabes gehoben sehen. Des Königs Züge blicken ernst. Seine Umgebung teilt die ernste Stimmung, denn das Werk, das sie anstaunen, ist ebenso wichtig als dasjenige, das sie im Begriffe sind, zu unternehmen; beide kosten Menschenleben.
»Macht eine Pause,« befiehlt Ramses. »Laßt die Arbeiter einige Sekunden ruhen, reicht ihnen Wasser, laßt die Weiber Erfrischungen herbeitragen.«
Dies geschieht. Der Koloß wird inmitten seines Weges eingehalten, die Stricke werden befestigt, der Koloß liegt vor Anker. Auch die Peitsche der Aufseher ruht. Aller Augen ruhen auf dem König, der wortkarg sein Bild mustert, wie es dort verderbenbringend zwischen Himmel und Erde schwebt. Verderbenbringend! Denn das geringste Versehen, ein falscher Zug, ein falscher Takt kann das Steingewicht der Statue zermalmend herabschleudern, Tausenden den Tod bringend. Und welch unglückliche Vorbedeutung, wenn das Bild des Königs herniedersänke von seinem Sitz? Alle Zuschauer, selbst die arbeitenden Ebräer sind sich der Wichtigkeit des Moments bewußt; sie sprechen wenig, Winke und Andeutungen ersetzen jetzt die Worte. Überall Schweigen der Erwartung, nur auf einer der obersten Stufen hat sich ein lebhafter Wortwechsel entsponnen. Dort liegt ein alter, weißhaariger Jude, schweißtriefend auf den glühenden Steinen der Treppe, neben ihm kniet ein jüngerer Mann von dunkler Gesichtsfarbe und scheublickenden Augen, die verstohlen unter den Wimpern hervorblitzen.
»Vater,« flüstert die Stimme des jungen Mannes, »erhebe dich, der Aufseher bemerkt deine Ermattung. Du weißt, wir dürfen nicht ermüden, selbst das Alter nicht.«
»Mein Sohn Isaak –,« mehr vermag die trockne Zunge des Alten nicht hervorzustottern. Der Sohn reicht ihm einen Wasserkrug und netzt die welken Lippen des Vaters. Lächelnd streicht der Ermattete nun über die Hand des Jüngeren, in seinem Auge glüht
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