Meine Philosophie lebendiger Gaerten
wissen.
Es war da einst das »Baden-Baden-Beet« zu bestaunen, mit seinem Charme einer Spielcasino-Anlage: im Mittelpunkt rote Rosen »Lilli Marleen«, eine Sorte, die vor vierzig, fünfzig Jahren auf den Markt kam, damals die Rose schlechthin. Bekannt in jeder Stadt, hat »Lilli Marleen« seinerzeit jeden Kreisverkehr aufgehübscht. Zwischen diesen vielblütigen knallroten Teehybriden standen als Kontrast weiße Margeriten - das war der Hit jener Jahre, und so sah eben auch das Beet meiner Eltern aus. Damit bin ich groß geworden,
das fand ich großartig und besonders. Es war das Pendant zu einem Staudenbeet auf der gegenüberliegenden Seite. Die Rosen wurden dann müde und krank, der Garten verschattete, und so wurde ein modernes Beet angelegt.
Aber trotz der liebevollen Pflege meines Vaters starb dieses Beet eigentlich seit seiner Einrichtung langsam vor sich hin. Warum ich mich nicht eingemischt habe, obwohl es die Eltern ausdrücklich gewünscht haben (wo ich doch auch anderen Menschen von Berufs wegen den Garten mache, wie sie betonen)? Vom Garten meiner Kindheit, den es nicht mehr gibt, halte ich mich fern. Er ist mit den schönsten Erinnerungen verbunden, aber diese haben keinen Anker mehr. Der Ort, an dem er war, ist mir fremd, und zugleich ist er mir zu nahe, zu intim. Da kann ich nicht mehr in die Erde greifen. So denkt und fühlt es in mir. Aber ich schweige darüber. Denn ich lebe ja nicht mehr dort.
Erste Schritte hinaus in die Welt
Schule war frustrierend, grässlich, unschön, nichts, was ein gärtnerndes Kind interessieren könnte. Vor lauter Abneigung und Angst legte ich morgens einen Stein an das Ende der Buchenhecke, die unsere Straße flankierte, und dachte bei mir: Wenn ich hier auf dem Rückweg wieder vorbeikomme, dann hat der Stein auf mich gewartet, und alles wird dann für diesen Tag vorbei sein. Es konnte vorkommen, dass der Stein wegen irgendeiner unerwarteten, unvorhergesehenen Ablenkung vergessen wurde. Aber das Ritual versprach vorweggenommenen
Trost. Gründe für schulische Schwierigkeiten lieferte ich teilweise selbst, weil ich immer gegen das Unrecht in der Welt kämpfen wollte; als Konsequenz musste ich auch mal die Schule verlassen - nicht ohne mich nachdrücklich in Erinnerung gehalten zu haben. Kein Wunder, dass in mir bald das Bedürfnis entstand, der schulischen Enttäuschung und Qual ein Ende zu setzen, mit der Aussicht, etwas zu tun, das Freude macht.
Ein Jahr vor dem Ausstieg mit fünfzehn gab es ein Praktikum, in einer Baumschule. Da bin ich erst einmal zu spät gekommen. Eigentlich hatte ja meine Mutter verschlafen, aber das hätte sich als Rechtfertigung - auch damals schon - völlig uncool angehört für eine angehende Erwachsene. Der alte Chef nahm mich zur Seite und mahnte: Kein guter Anfang, und wenn ich nun schon zu spät komme, solle ich gleich mal seine Himbeeren pflücken. Nun: Wenn ich etwas mochte, dann war es Beerenpflücken, betrieben voller Hingabe seit dem vierten Lebensjahr. Erst mit dem Großvater, dann mit dem Vater gar um die Wette, und immer hatte ich sie geschlagen. Meine Kanne war voll, so schnell konnte keiner gucken. Mein Vater meinte dann entschuldigend, seine Hände seien so groß, deshalb bekomme er es nicht so gut hin. Speedy picking , das war meine Leidenschaft. Nicht nur im Garten, auch stundenlang im Wald auf der Suche etwa nach Blaubeeren. Also, Himbeerenpflücken in der Baumschule, die ganze Reihe. Nach einer Dreiviertelstunde brachte ich dem alten Herrn die Himbeeren: »Was, die ganze Reihe ist schon fertig?« - »Ja«, sagte ich. Er, irritiert und ratlos, grummelte: »Da
brauche ich einen ganzen Tag für … Dann kannst du ja mit den Brombeeren weitermachen.« In Ordnung, so wurden die Brombeeren abgeräumt. Das überzeugte.
Nun gehörte das tägliche Aufstehen um fünf Uhr in der Früh zu diesem Praktikum, und meine Mutter glaubte, sie müsse mit mir den Tag beginnen. Bald aber bat ich darum, allein aufstehen zu dürfen, denn es war nicht ihre beste Zeit so frühmorgens. Was folgte, war ein großes Freiheitsgefühl, das nun noch zur Freude an diesem ersten Arbeiten hinzukam. Um Viertel vor sieben hieß es, in der Baumschule anzutreten, von dort fuhr der Bus in die Baumplantagen, die »Baumquartiere«. Bäumeschneiden war die Hauptarbeit. Als Praktikantin hatte man mich das zwar noch nicht machen lassen, meine Arbeit war das Bestreichen der Schnittstellen mit Lackbalsam, einem teuren, klebrigen Zeug, das das Ausbluten der Äste
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