Meine Philosophie lebendiger Gaerten
eingehen. Das heißt, die Kultivierung einer Pflanze hat die Bedürfnisse der Pflanze zu berücksichtigen und zu achten - aber dafür müssen diese Bedürfnisse überhaupt erst einmal verstanden werden. Kultivierung ist ein langer Lernprozess, kompliziert und komplex aufgrund unendlich vieler Faktoren, die uns zusammengenommen einen Einblick in die Bedürfnisse der
Pflanzen vermitteln. Wir verstehen dann etwa, warum die mediterranen Pflanzen wie Rosmarin oder Lavendel so schmale Blätter, eher wie Nadelgehölze, und keine dicken, fleischigen, silbergrauen Blätter haben: weil es so heiß ist und weil wenig Wasser und Nährstoffe zur Verfügung stehen. Die Natur passt sich an die Hitze durch tief greifende Wurzeln an, die sich unten sogar zwischen die Felsspalten hineinarbeiten. Oben wird zugleich ein Verdunstungsschutz gebraucht. Die Pflanzen könnten mit großen Blättern in der Hitze nicht umgehen, eine verstärkte Fotosynthese wäre ihr Tod. Dafür behalten sie die Blätter dann auch im Winter, wo sie mit dem wenigen, was sie haben, den Speicherorganen, diesen Nadeln, weiterleben können. Im darauffolgenden Sommer ernähren sie sich davon, was sie in den Nadeln angesammelt haben. So ist es leicht zu verstehen, dass solche Pflanzen nicht besonders gern »schön nass« stehen, denn sie verfügen über Organe, die einem permanenten Wasserkreislauf nicht standhalten können.
In seinem ersten Jahr in Kew Gardens nun hatte jeder Student seinen eigenen Gemüsegarten mit allem denkbaren Gemüse, dazu allwöchentliche Pflanzentests, in denen das gelernte Wissen um Art, Spezies, Familie, Herkunftsland und vielem mehr nachzuweisen war. Heute beherrsche ich wohl so um die sieben- bis neuntausend Pflanzennamen, leider nur in Latein, die deutschen Namen kenne ich nicht wirklich. Besonders der Speziesname und die Bezeichnung der Subspezies bieten oft Hinweise, welchen Boden oder welches Klima eine Pflanze braucht, oder sie weisen auf ihre Herkunft hin.
Das zweite Studienjahr widmete sich der Wertnutzung, der Economic Botany, also der ökonomischen Botanik. Hier geht es nicht um irgendwelche standortgebundenen Gemüse, hier geht es um eine Werte pflanzende Welt, um die Kultivierung von Pflanzen, von denen große Teile der Weltbevölkerung leben und ganze Völker abhängig sind: Reis, Kartoffeln, Mais, Getreide, Zuckerrohr, Kaffee, Tee, Bananen, es geht um deren Herkunft und Besonderheit.
Economic Botany ist ein ganz außerordentliches Fach. Jeder Student beschäftigt sich mit einer Pflanze, wobei ich mir etwas Genüssliches ausgesucht hatte: italienische Rebenweine. Dazu musste ich nach Italien, zwei, drei Monate Florenz, ich reiste von dort durchs Land, studierte Renaissancegärten und Weinreben hinsichtlich ihrer Eignung, ihrer Resistenz gegenüber Krankheiten, die Qualitätsunterschiede von Weinanbaugebieten, nicht nur in Italien und Europa, auch in Kalifornien oder Afrika.
Kew Gardens ist einer der wichtigsten Orte, an dem, wann immer es in der ökonomischen Botanik eine Krise gibt, Programme zur Beseitigung der Schwierigkeiten entwickelt werden. So zum Beispiel, als vor vierzig Jahren die Bananenpflanzen weltweit starben, weil sich ein sogenannter Bananenbohrer ausbreitete, ein Schädling, der zur existentiellen Gefahr für die Pflanze wurde. Die Kenntnisse über die Kultivierung der Banane waren bis dahin in den tropischen Ländern nur unzureichend, und da die Banane übermäßig in Monokulturen angebaut wurde, konnten die Schädlinge zielsicher und radikal ganze Arbeit leisten. So schnell, wie
dort alles wächst, vermehren sich auch die Schädlinge. Damals wurde Kew Gardens eingeschaltet, es kam zu neuen resistenten Selektionen, und heute wissen wir ja, dass wir wieder beziehungsweise weiterhin Bananen in den Regalen der Supermärkte finden.
Womit die Pflanzen oder Früchte vor Schädlingen schützen, wie sie verarbeiten, wie lagern - alle Aspekte, bis sie als Produkte bei uns auf den Teller oder in die Tasse kommen, gehörten zum Studium. Im dritten Studienjahr kamen schöngeistige Dinge dazu: Malen, draußen in der Natur Bäume zeichnen, Blumen, Blüten und Fruchtstände aufschneiden und skizzieren, der Frage nachgehen, wie sich im Apfel der Kern entwickelt. Über den ganz praktischen Umgang mit den Dingen der Natur lernten wir deren Komplexität verstehen. Kew-Studenten haben dabei stets die Malerei von Marianne North vor Augen, einer auf botanische Motive spezialisierten Künstlerin des neunzehnten Jahrhunderts
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