Meine Wut rettet mich
in der Kapelle und betete, doch eher pflichtschuldig. Mit der meditativen Form des Betens, der sich manche Nonne mit Begeisterung hingibt, freundete sie sich nie an, sondern pflegt das Gebet als Zwiesprache mit Gott, in der sie ihn um Beistand für ihre Arbeit bittet. Sie hielt durch, beharrte – und glaubt, das sei ihr zum Teil in die Wiege gelegt worden: vom Vater die Sturheit und von der Mutter die Frömmigkeit.
»Ich hatte in meinem Leben unheimlich viel Glück und tausend Chancen«, sagt Lea Ackermann. Die schlanke Ordensfrau trägt das leicht graue Haar kurz, spricht mit ruhiger Stimme, lacht gerne, doch nicht zu oft. Sie wirkt ausgeglichen, präsent – und kein bisschen heilig. Sie bereute den Weg nie, in den sie damals einbog, sondern fand ihre Berufung. Und sie erhielt höchste Anerkennung für ihre Schul- und Bildungsarbeit in Ruanda und für ihre Organisation »Solwodi« (Solidarity with Women in Distress – Solidarität mit Frauen in Not), die seit 1985 gegen Sextourismus, Heirats- und Menschenhandel aktiv ist. 2005 wurde sie als eine der deutschen Vertreterinnen in die Bewegung »1000 Frauen für den Friedensnobelpreis« berufen. Diese zeigte, wo und wie Frauen weltweit vorangehen – hin zu mehr Frieden und Menschlichkeit. Solche Initiativen helfen zu bewegen: »Unsere Welt ist noch immer viel zu patriarchalisch«, behauptet Schwester Lea. Für die Kirchenwelt gelte das ganz besonders.
Solwodi finanziert sich zu einem großen Teil aus Spenden sowie durch die Lea-Ackermann-Stiftung, die eine Mäzenin 1999 ins Leben rief. Entscheidend, um Gelder und Gewicht zu bekommen, ist der Grad der Öffentlichkeit. »War ich gerade im Fernsehen zu sehen und sitze anderntags auf einer Behörde, hat dort mein Anliegen größere Chancen.« Weitere Aufmerksamkeit erwirkt sie durch Vorträge, Artikel und Bücher. 17 Auch Preise wirken unterstützend. Lea Ackermann wurde unter anderem 1998 zur »Frau Europas« ernannt, 2008 mit dem Romano-Guardini-Preis und der Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Luzern ausgezeichnet. Der Nobelpreis wäre der einzige gewesen, der bedeutsam dotiert ist. »Wir Frauen werden meist auch ehrenamtlich geehrt«, merkt sie an.
»Die endgültige Entscheidung fürs Kloster fiel nach einer durchtanzten Nacht bei einem Betriebsausflug der Bank nach Trier. Ich wusste längst, ich wollte kein Leben mit Papieren führen, sondern in die Entwicklungshilfe. Und mich reizte das Abenteuer«, erzählt sie. Adressen von Klöstern und Missionsgemeinschaften hatte sie sich längst beschafft. Vom Orden »Unserer lieben Frau« hatte sie eine Einladung für den Sonntag nach dem Ausflug. »Das Ordenshaus war auch in Trier. Welch ein Zufall, dachte ich.« Sie stöckelte, noch im Tanzkleid, an die Klosterpforte, um bei der Schwester Oberin vorzusprechen. Die »Missionsschwestern Unserer lieben Frau von Afrika« ( Sœurs Missionnaires de Notre-Dame d’Afrique , SMNDA) nennt man wegen ihres Ordenskleids auch die Weißen Schwestern. Der katholische Missionsorden wurde 1869 von Kardinal Charles Lavigerie in Algerien gegründet und versteht sich ausschließlich als missionarisch im Dienste der Evangelisierung Afrikas. Der Generalrat sitzt in Rom, ein deutsches Schwesternhaus besteht in Köln-Delbrück, in Trier sitzt die Regionalleitung. Die heute rund tausend Schwestern leben meist in Wohngemeinschaften und arbeiten in 16 Ländern Afrikas; gut die Hälfte der jüngeren sind Afrikanerinnen. Bei einem solchen Orden konnte sie sicher sein, dass sie im Ausland arbeiten würde, Afrika war ihr großes Ziel. »In Deutschland wirkten die Menschen auf mich viel zu satt.« Das Gespräch mit der Oberin lief gut. Diese Tür stand nun für sie offen. Der Orden nahm nur zweimal im Jahr Novizinnen auf. Durch die Kündigungsfrist bei der Bank drängte die Entscheidung. Die damals 23-Jährige spürte, dass nun die Zeit reif war für eine Veränderung, und handelte: »Ich wollte darüber mit niemandem diskutieren.«
Von der Profess-Feier 1962 an hieß sie »Leontia«. Den Namen nahm sie in Kauf, den Schleier hingegen trug sie begeistert. Sie zitiert Gertrud von Le Fort, eine Konvertitin: »Der Schleier ist das Symbol des Metaphysischen auf Erden. Er ist aber auch das Symbol des Weiblichen – alle großen Formen des Frauenlebens zeigen die Gestalt der Frau verhüllt.« Als das Zweite Vatikanische Konzil 1965 zu Ende ging, war beides nicht mehr nötig: Ordensleute durften ihren Taufnamen wieder annehmen und
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