Meine Wut rettet mich
Jahr später nach Boppard-Hirzenach ins Pfarrhaus des Pallotiner-Paters Fritz Köster umzog. Solwodi versteht sich als Brücke zwischen Herkunftsland und »Ziel«-Land der betroffenen Frauen. Der Verein will ausländische Ehefrauen, illegal Beschäftigte und ausländische Prostituierte rechtlich und gesellschaftlich besser schützen und ihnen helfen, wenn sie Gewalt ausgesetzt sind.
Geschätzt eine halbe Million Frauen werden jährlich als Zwangsprostituierte in die EU-Mitgliedsstaaten eingeschleust. Deutschland liegt an der Schnittstelle zwischen westlichen sowie mittel- und osteuropäischen Ländern und ist dadurch Zielland dieses Milliardengeschäftes. Mit Entführung und Verkauf von Frauen werden laut Schätzung des Bundeskriminalamts zurzeit eine Milliarde Euro im Jahr umgesetzt. Die Behörde ermittelte für 2009 in Deutschland 777 Tatverdächtige und 710 Menschenhandelsopfer. Jedes zehnte Opfer gab an, gewaltsam zur Prostitution gezwungen worden zu sein, jedes vierte behauptet, es sei uber die Art der Tätigkeit im Ausland getäuscht worden. Die große Mehrheit der Opfer des Menschenhandels ist weiblich, die Hälfte stammt aus Osteuropa, jeder dritte Betroffene war unter 21 Jahre alt, jeder fünfte minderjährig. Man geht von einer hohen Dunkelziffer aus und schätzt, dass gegenwärtig zwischen 10.000 und 30.000 Personen pro Jahr nach Deutschland in die Prostitution verkauft werden. Die Frauen werden oft in Verstecken gehalten und mit dem Hinweis auf ihren illegalen Aufenthaltsstatus erpresst. Solwodi arbeitet eng mit Behörden zusammen, erhofft sich aber noch mehr Verständnis bei Richtern und Staatsanwälten. Denn noch immer würden Frauen bei Razzien aufgegriffen und dann ausgewiesen. Dabei wären ihre Aussagen vor Gericht wichtig, um Täter zu ermitteln und zu bestrafen.
Die Ordensschwester packt selbst an. Sie hat vor allem die Rolle der Botschafterin. Weltweit wirbt sie für die Anliegen von Solwodi und um Spenden. Sie treibt die Vernetzung mit anderen Initiativen voran und lässt los, sobald sie das Gefühl hat, es läuft. In Kenia agiert Solwodi seit 1997 eigenständig als Nichtregierungsor ganisation, die Beratungsstelle, Ausbildungsvermittlung und Werk statt zugleich ist, und unterhielt dort 2011 zehn Beratungsstellen. In Mombasa startete 2002 flankierend das Projekt »Solgidi« (Solidarity with girls in distress – Solidarität mit Mädchen in Not), das besonders Töchtern von Prostituierten Schutz und Hilfe bietet, in Kigali (Ruanda) ein weiteres Projekt für Witwen und Waisen. 2010 wurde ein erstes Solwodi-Beratungszentrum in Rumänien eröffnet.
In Deutschland betrieb Solwodi im Jahr 2011 insgesamt 15 Beratungsstellen und sieben Schutzwohnungen. Dort arbeiteten 52 Sozialarbeiterinnen und Beraterinnen, unter ihnen sind 17 Ordensschwestern aus 13 verschiedenen Gemeinschaften.
Mehr als 1400 Frauen suchen jährlich die Unterstützung der Hilfsorganisation, schildert die Ordensschwester.
Wer zu Solwodi oder Solgidi gelangt, wird psychisch und sozial betreut; in Deutschland werden die Betroffenen auch als Zeuginnen in Gerichtsverfahren begleitet. Will eine Frau in ihr Heimatland zurückkehren, wird ihr nahegelegt, sich zuvor durch eine Ausbildung zu qualifizieren, um vor Ort bessere Chancen zu haben, sich eine Existenz aufzubauen. Finanziell wird den Frauen durch Mikrokredite geholfen, Fuß zu fassen. Sie werden zu 70 Prozent als zinslose Darlehen gegeben. Solwodi finanziert sich aus Spenden sowie aus Zuschüssen von Regierungen und Kirche. Der Verein übernimmt eine zugleich humanitäre und politische Aufgabe. Denn viele der betroffenen Frauen sehen als Ausweg aus ihrer absoluten Armut und Verelendung tatsächlich nur, sich zu prostituieren, einen reichen Ausländer zu heiraten oder zeitweise im Ausland zu arbeiten. Sie landen dabei oft und teils zunächst ahnungslos in den Händen von Menschenhändlern, Schleppern oder Ehemännern, die sie körperlich und seelisch ausbeuten.
Der erste Schritt, den Schwester Lea und ihre Mitstreiterinnen mit Frauen gehen, die bei ihnen anklopfen, ist im Grunde immer derselbe: Als Erstes muss das Selbstwertgefühl dieser Frauen aufgerichtet werden, sie müssen wieder Perspektiven sehen. Die Ordensfrau erzählt mit viel Begeisterung von den Erfolgen. Eine Frau schaffte das Abitur. Eine, die sich mit Mühe zu einem Praktikum bewegen ließ, strahlte nach zwei Wochen übers ganze Gesicht: »Die mögen mich ja.« Das gab ihr Auftrieb und sie blieb. Lea erzählt aber
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