Meine Wut rettet mich
sie wurden nicht mehr zum Habit gezwungen. Lea Ackermanns Ordensgemeinschaft gehörte zu den ersten, die ihren Mitgliedern die Entscheidung freistellte. Sie nahm zunächst nur ihren alten Namen wieder an. Den Schleier legte sie erst ab, als Johannes Paul II. Papst geworden war – aus Protest: Als er den Schleier pries, deutete sie dies als Zeichen, dass ihm das Zweite Vatikanum zu fortschrittlich war, und war erbost.
Sieben Jahre dauerte die Vorbereitung im Kloster; sechs Mal legte sie jeweils für ein Jahr das Gelübde ab, danach die ewige Profess. »Das Keuschheitsgelübde war für mich kein Problem, ich war ja nicht verliebt. Die Entscheidung für das Klosterleben bewahrte mich vor dem Ruf, eine alte Jungfer zu sein.« Ein Riesenproblem für sie war allerdings, dass sie 1963, nach ihrem einjährigen Theologiestudium bei den Dominikanern in Toulouse, nicht mit ihren Mitschwestern an ihr Traumziel, nach Afrika, durfte. Die Oberin in Trier hatte vergessen, sie auf die Liste zu setzen. »Eine göttliche Fügung«, sagt Schwester Lea heute. Denn die Oberin bot ihr an, sie dürfe dafür in München bei den Armen Schulschwestern Lehramt studieren. Lea hatte damit ihren Traumberuf, sie war die Sorge los, in Afrika vielleicht einfach als Sekretärin oder als Küchenhilfe bei einem Bischof arbeiten zu müssen – und sie konnte sich an Pfingsten 1964 am Sterbebett ihres Vaters von ihm verabschieden.
1967 schickte der Missionsorden sie nach Ruanda. Sie las, was es auf Deutsch und Französisch über das Land zu lesen gab, und bestand darauf, in Kigali als Vorbereitung auf ihre Arbeit die Landessprache zu lernen, Kinyarwanda. Ruanda galt wegen der Spannungen zwischen Hutu und Tutsi als Krisengebiet. Lea schreckte dies nicht. »Ich wollte Exotik, anderen helfen, sie unterrichten und ihnen Jesus nahebringen durch gelebte Nächstenliebe.«
Sie landete in Nyanza, einem Marktflecken im Landesinneren mit Krankenhaus, Post und vier Schulen. Ruanda war großteils christianisiert und formal eine demokratische Republik. Doch die Bevölkerung handelte oft noch nach dem Feudal-Kodex, die Strukturen aus der Kolonialzeit bestanden weitgehend noch. Die einstigen Eroberer hatten den Afrikanern einfach ihr Schulsystem übergestülpt: Die Kinder sagten die Flüsse und Städte Belgiens auf, lasen »Unsere Vorfahren, die Gallier«, erfuhren aber nichts, was ihnen nutzte. Die Bildungsunterschiede waren immens, der größte Teil der Bevölkerung war nahezu ohne einen Bildungszugang, nur jeder Zehnte konnte damals lesen und schreiben.
Das erste Jahr nutzte Schwester Lea, um selbst zu lernen, wie das Schulsystem funktionierte. Dann reformierte sie es. Zu Hilfe kam ihr dabei, dass sie rasch an entscheidenden Hebeln saß. Sie übernahm die Leitung der Schule als Urlaubsvertretung und bald darauf dann im Hauptamt, denn die bisherige Direktorin erkrankte während ihres Heimaturlaubs und kam nicht zurück. Lea verdoppelte die Ausbildungszeit der Nachwuchslehrer auf vier Jahre und brachte den Lebensalltag in die Schule: Jedes Mädchen musste in der Klinik einer Geburt beiwohnen, um ungefähr zu wissen, worauf es ankam. »Es war ja üblich, dass viele Mädchen ihrer Mutter bei der Entbindung eines Geschwisterkindes halfen.« Schwester Lea lehrte ihre Schülerinnen ernährungsbewusstes Kochen – aber auf einer Feuerstelle mit drei Steinen. »So war es doch bei vielen zu Hause. Was half es ihnen, wenn sie einen Kochofen bedienen konnten?« Schwester Lea erneuerte und sie beharrte trotz mancher Widerstände: Sie unterrichtete und schulte das Lehrpersonal für die 200 Schülerinnen des Internats, das in der Trägerschaft ihres Ordens war. Und wo nur möglich, widersetzte sie sich der traditionellen Frauenfeindlichkeit der ruandischen Gesellschaft, in der Männer eine intelligente Frau als Provokation empfanden. Sie beharrte – für sich selbst, aber auch als eine Art Anwältin ihrer Schülerinnen.
Weil sie Ruanda auch in seiner Widersprüchlichkeit sehr gut kennt, wollte man von ihr oft wissen, wie sie sich denn erkläre, dass es 1994 zu einem Genozid kommen konnte. Geschätzt mindestens eine halbe Million Menschen wurde damals ermordet. Innerhalb von vier Monaten, zwischen April und Juli, töteten Hutu 75 Prozent der Tutsi-Bevölkerung. Die Ordensfrau schüttelt den Kopf. Einzig mögliche Erklärung sei, dass alle Menschen anfällig sind für Hass. Hinzu komme: Schwelende Konflikte seien stets ein Pulverfass und genau das traf für dieses Land schon
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