Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meines Bruders Moerderin

Meines Bruders Moerderin

Titel: Meines Bruders Moerderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Rodrian
Vom Netzwerk:
glücklich war. Pia hatte ihm geholfen, seine Schreib- und Leseschwäche zu verbessern, und er brachte ihr dafür die köstlichen tapas und Eintöpfe seiner Mutter mit. Er grinste breit, als er sie sah.
    Felipe war ein straffer Ehrgeizling, der es noch sehr viel weiterbringen würde. Er war hier geboren, er kannte sich aus, er passte auf und beobachtete. Und er sah sehr viel mehr als gut war. Er würde sie jederzeit anschwärzen, wenn es für seine Karriere nützlich war. Und bei ihrer bekannt unkonventionellen Arbeitsweise, um es mal diskret auszudrücken, konnte es nicht lange dauern, bis er etwas Anschwärzenswertes mitbekam. Er salutierte übertrieben.
    Sie ging in den zugigen Durchgang, wich zwei weiteren Einsatzwagen aus, bog nach rechts ab und stieg die Stufen hinauf zur brigada criminal . Der ganze Flügel wurde seit Wochen renoviert, man konnte am Abend nie wissen, wo man am nächsten Morgen seinen Schreibtisch suchen sollte. Im Moment teilten sich verschiedene Dezernate den zweiten und dritten Stock. Überall Kisten und Kartons, Farbeimer, Plastikplanen und der Geruch von frischem Mörtel. Es war erstaunlich ruhig. Kein Bohrer, keine Schleifmaschine. Pia stolperte über eine offene Werkzeugkiste, die ziemlich verloren im breiten Gang herumstand. Die in den letzten Jahrzehnten allmählich abgeplatzten Putz- und Farbschichten ließen wieder die Umrisse von Stuckornamenten erahnen, die einst üppig an der Decke und rund um die massiven Mahagonitüren wuchern durften.
    Die Tür zum provisorischen Großraumbüro der brigada criminal und der Mordkommission klemmte wie immer. Nur sieben der zwölf Plätze waren besetzt. Kein Geschrei, keine Diebe, Huren oder Zuhälter. Es war noch zu früh. Die putas saßen beim Essen und ihre chulos pennten noch.
    Toni war natürlich schon da. Er war fünfundzwanzig, elf Jahre jünger als sie. Verheiratet mit Verónica, einer reichen Biererbin. Vater von einem dreijährigen Sohn und einer elf Monate alten Tochter. Er wäre heute problemlos freigestellt worden. Aber er war hier. Wie erwartet. Antonio Botía, der neue inspector mit dem Unidiplom.
    Pia ging zu ihrem Tisch und fühlte seinen Blick. Er war auch nur ihretwegen hier. Sie warf den Computer an und tat, als würde sie nichts bemerken. Toni schien in ein intensives Gespräch mit Silvi vertieft. Die schöne blonde Praktikantin. Neunzehn Jahre alt, schlank wie ein Zahnstocher und aufgemotzt wie für eine Opernpremiere. Sie schauten zu ihr her, kicherten.
    Pia fühlte sich alt, dick und hässlich. Sie hatte die untersetzte muskulöse Figur ihres Vaters und das kupferrote Haar ihrer Mutter. Nur fiel es bei ihr leider nicht in weichen Kaskaden über die Schultern, sondern saß wie ein gestauchter Mop auf ihrem Kopf. Sie hämmerte in die Computertasten. Der Bericht über den gestrigen Einsatz.
    Blutige Auseinandersetzung zwischen zwei Drogendealern. Der eine Ali, ein illegaler Marokkaner, der andere Jordi, der nichtsnutzige Sohn des ehrenwerten Don Esteban, Geschäftsmann, Inhaber einer Kette von luxuriösen Dessousläden und Wohltäter der Kirche. Jordi war in das Gebiet des Marokkaners eingedrungen und hatte dilettantisch verschnittenen Koks weit unter Preis angeboten. Und im Gegensatz zu Ali nahm Jordi das Zeug auch selber. Sie hatten sich praktisch gegenseitig abgeschlachtet. Mit Messern. Sehr exklusiven Messern. Einem Schmetterling mit Perlmuttintarsien und einem Falldolch mit Sägezähnen und Hirschhorngriff. Ein entfernter Vetter von Ali hatte einen Messerladen im Raval, und pikanterweise stammten beide Messer von dort. Ali war tot, Jordi lag auf der Intensivstation. Es sah nicht gut aus für ihn.
    »Entschuldigung«, eine leise Stimme ließ Pia aufsehen. Die Frau vor ihrem Tisch war jung, Mitte, Ende zwanzig vielleicht. Strähniges Haar, verlaufener Lidstrich, zerbissene Lippen. Sie trug einen grauen Jogginganzug, der ihre Figur verbarg. Pia hatte nicht gemerkt, dass sie hereingekommen war.
    »Ja?«
    »Man hat mich hierher zu Ihnen geschickt. Ich komme aus Valencia.«
    »Ah ja?« Toni. Natürlich. Die Kompetenzen der einzelnen Dezernate überschnitten sich sowieso schon vielfach, man versuchte, interessante Fälle für sich an Land zu ziehen und unangenehme weiterzuschieben. Vor Pias Tisch stand ein Besucherstuhl, unter einem Berg Akten begraben. Pia machte ihn nicht frei. Sie hatte keinen Bock auf langatmige Ergüsse. »Sie heißen?«
    »Isabel Ribera-Montserrat.« Die Besucherin reichte ihr einen Personalausweis und

Weitere Kostenlose Bücher