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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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halb-gezogener Mütze vor ihm stehenbleiben.
    Artig erwiderte Vater seinen gemurmelten Gruß, und mit der größten Spannung sah ich, während der Kleine im Wä gelchen beim Halten erwachte und langsam die Augen auf tat, der Szene zwischen den beiden einander scheinbar so sehr fremden Männern zu. Stärker noch, als es auch sonst des öftern geschah, empfand ich die Mundart des einen und die gepfl egte, genau akzentu-ierende Sprache des andern als Ausdruck eines innern Gegensatzes, als Sichtbarwerden ei ner zwischen dem Vater und seiner Umwelt bestehenden Scheidewand.
    Andrerseits war es aufregend und hübsch, zu sehen, wie der Angesprochene den Bettler so höfl ich und ohne Ablehnung oder Zurückzucken empfi ng und als Men-schenbruder anerkannte. Der Unbekannte versuchte nun, nachdem die paar ersten Worte getauscht waren, das Herz des Vaters, in dem er einen gutmütigen 554
    und vielleicht leicht zu rührenden Menschen vermu-ten mochte, mit einer Schil derung seiner Armut, seines Hungers und Elendes zu bestür men, es kam etwas Singendes und Beschwörendes in seine Redeweise, als klage er dem Himmel seine Not: kein Stück chen Brot habe er, kein Dach überm Kopf, keine ganzen Schuhe mehr, es sei ein Elend, er wisse nicht mehr, wohin sich wenden, und er bitte inständig um ein wenig Geld, es sei schon lange keines mehr in seiner Tasche gewesen.
    Er sagte nicht Tasche, sondern Sack, während mein Vater in seiner Antwort den Ausdruck Tasche vorzog. Ich verstand übrigens mehr die Musik und Mimik des Auftrittes, von den Worten nur wenige.
    Schwester Adele, zwei Jahre älter als ich, war nun in einer Hinsicht über Vater besser unterrichtet als ich.
    Sie wußte, was mir noch lange Jahre verborgen blieb, schon damals, daß nämlich unser Vater so gut wie niemals Geld bei sich trug und daß er, wenn es doch einmal geschah, ziemlich hilfl os und auch leichtsinnig damit umging, Silber statt Nickel und große statt kleine Münzen hingab. Sie zweifelte vermutlich nicht daran, daß er kein Geld bei sich habe. Ich dagegen neigte sehr zu der Erwartung, er werde nun, beim nächsten Ansteigen und Schluchzen der Töne in des Bettlers Klage lied, in die Tasche greifen und dem Mann eine ganze Menge von halben und ganzen Frankenstücken in die Hände drücken oder in die Mütze schütten, genug, um Brot, Limburger Käse, Schuhe und alles andre zu kaufen, 555
    dessen der Fremd ling bedürftig war. Statt dessen aber hörte ich den Vater auf alle Anrufe mit derselben höf-lichen und beinah herzlichen Stimme antworten und hörte seine beruhigend und be schwichtigend gemein-ten Worte schließlich zu einer kleinen, gut formulier-ten Rede verdichten. Der Sinn dieser Rede war, wie wir Geschwister uns später zu erinnern meinten, dieser: er sei nicht imstande, Geld zu geben, da er keines bei sich habe, auch sei mit Geld nicht immer geholfen, man kön-ne es leider auf so verschiedene Arten verwenden, zum Beispiel statt zum Essen zum Trinken, und dazu wolle er in keiner Weise behilfl ich sein; dagegen sei es ihm nicht möglich, ei nen wirklich Hungernden von sich zu weisen, darum schlage er vor, der Mann möge ihn bis zum nächsten Kaufl aden be gleiten, dort werde er soviel Brot bekommen, daß er minde stens für diesen Tag nicht zu hungern brauche.
    Während dieses Gesprächs standen wir die ganze
    Zeit am selben Fleck auf der breiten Straße, und ich konnte die bei den Männer mir gut ansehen, sie miteinander vergleichen und mir auf Grund ihres Aussehens, ihres Tonfalls und ihrer Worte meine Gedanken machen. Unangetastet natürlich blieb die Überlegenheit und Autorität des Vaters in diesem Wettstreit, er war ohne Zweifel nicht nur der Anständige, or dentlich Gekleidete, sich gut Benehmende, er war auch der, welcher sein Gegenüber ernster nahm, der besser und ge nauer auf den Partner einging und seine Worte unumwun den 556
    ehrlich meinte. Dafür hatte der andere aber diesen Beiklang von Wildheit und hatte hinter sich und seinen Worten etwas sehr Starkes und Wirkliches stehen, stärker und wirkli cher als alle Vernunft und Artigkeit: sein Elend, seine Armut, seine Rolle als Bettler, sein Amt als Sprecher für alles ver schuldete und unverschuldete Elend der Welt, und das gab ihm ein Gewicht, das half ihm Töne und Gebärden fi nden, die dem Vater nicht zur Verfügung standen. Und außerdem und über dies alles hinweg entstand während der so schönen und spannen-den Bettelszene Zug um Zug zwischen dem Bettler und dem Angebettelten eine

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