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Meisternovellen

Meisternovellen

Titel: Meisternovellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Erbitterung, denn … ich sagte es ja schon … von der ersten Sekunde, ja, noch ehe ich sie gesehen, empfand ich diese Frau als Feind.
    Ich schwieg zunächst. Schwieg hartnäckig und erbittert. Ich spürte, daß sie mich unter dem Schleier ansah – gerade und fordernd ansah, daß sie mich zwingen wollte zu sprechen, aber … ausweichend … ja unbewußt ahmte ich ihre plapprige, gleichgültige Art nach. Ich tat, als ob ich sie nicht verstünde, denn – ich weiß nicht, ob Sie das nachfühlen können – ich wollte sie zwingen, deutlich zu werden, ich wollte nicht anbieten, sondern … gebeten sein … gerade von ihr, weil sie so herrisch kam … und weil ich wußte, daß ich bei Frauen nichts so unterliege als dieser hochmütigen kalten Art.
    Ich redete also herum, dies sei ganz unbedenklich, solche Ohnmachten gehörten zum regulären Lauf der Dinge, im Gegenteil, sie verbürgten beinahe eine gute Entwicklung. Ich zitierte Fälle aus den klinischen Zeitungen … ich sprach, ich sprach, lässig und leicht, immer die Angelegenheit ganz wie eine Banalität betrachtend und … wartete immer, daß sie mich unterbrechen würde. Denn ich wußte, sie würde es nicht ertragen.
    Da fuhr sie schon scharf dazwischen, mit einer Handbewegung gleichsam das ganze beruhigende Gerede wegstreifend.
    ›Das ist es nicht, Doktor, was mich unsicher macht. Damals, als ich meinen Buben bekam, war ich in besserer Verfassung … aber jetzt bin ich nicht mehr allright … ich habe Herzzustände …‹
    ›Ach, Herzzustände‹, wiederholte ich, scheinbar beunruhigt, ›da will ich doch gleich nachsehen.‹ Und ich machte eine Bewegung, als ob ich aufstehen und das Hörrohr holen wollte.
    Aber schon fuhr sie dazwischen. Die Stimme war jetzt ganz scharf und bestimmt – wie am Kommandoplatz.
    ›Ich
habe
Herzzustände, Doktor, und ich muß Sie bitten, zu glauben, was ich Ihnen sage. Ich möchte nicht viel Zeit mit Untersuchungen verlieren – Sie könnten mir, meine ich, etwas mehr Vertrauen entgegenbringen. Ich wenigstens habe mein Vertrauen zu Ihnen genug bezeugt.‹
    Jetzt war es schon Kampf, offene Herausforderung. Und ich nahm sie an.
    ›Zum Vertrauen gehört Offenheit, rückhaltlose Offenheit. Reden Sie klar, ich bin Arzt. Und vor allem, nehmen Sie den Schleier ab, setzen Sie sich her, lassen Sie die Bücher und die Umwege. Man kommt nicht zum Arzt im Schleier.‹
    Sie sah mich an, aufrecht und stolz. Einen Augenblick zögerte sie. Dann setzte sie sich nieder, zog den Schleier hoch. Ich sah ein Gesicht, ganz so wie ich es – gefürchtet hatte, ein undurchdringliches Gesicht, hart, beherrscht, von einer alterslosen Schönheit, ein Gesicht mit grauen englischen Augen, in denen alles Ruhe schien und hinter die man doch alles Leidenschaftliche träumen konnte. Dieser schmale, verpreßte Mund gab kein Geheimnis her, wenn er nicht wollte. Eine Minute lang sahen wir einander an – sie befehlend und fragend zugleich, mit einer so kalten, stählernen Grausamkeit, daß ich es nicht ertrug und unwillkürlich zur Seite blickte.
    Sie klopfte leicht mit dem Knöchel auf den Tisch. Also auch in ihr war Nervosität. Dann sagte sie plötzlich rasch: ›Wissen Sie, Doktor, was ich von Ihnen will, oder wissen Sie es nicht?‹
    ›Ich glaube es zu wissen. Aber seien wir lieber ganz deutlich. Sie wollen Ihrem Zustand ein Ende bereiten … Sie wollen, daß ich Sie von Ihrer Ohnmacht, Ihren Übelkeiten befreie, indem ich … indem ich die Ursache beseitige. Ist es das?‹
    ›Ja.‹
    Wie ein Fallbeil zuckte das Wort.
    ›Wissen Sie auch, daß solche Versuche gefährlich sind … für beide Teile …?‹
    ›Ja.‹
    ›Daß es gesetzlich mir untersagt ist?‹
    ›Es gibt Möglichkeiten, wo es nicht untersagt, sondern sogar geboten ist.‹
    ›Aber diese erfordern eine ärztliche Indikation.‹
    ›So werden Sie diese Indikation finden. Sie sind Arzt.‹
    Klar, starr, ohne zu zucken, blickten mich ihre Augen dabei an. Es war ein Befehl, und ich Schwächling bebte in Bewunderung vor der dämonischen Herrischkeit ihres Willens. Aber ich krümmte mich noch, ich wollte nicht zeigen, daß ich schon zertreten war. – ›Nur nicht zu rasch! Umstände machen! Sie zur Bitte zwingen‹, funkelte in mir irgendein Gelüst.
    ›Das liegt nicht immer im Willen des Arztes. Aber ich bin bereit, mit einem Kollegen im Krankenhaus …‹
    ›Ich will Ihren Kollegen nicht … ich bin zu Ihnen gekommen.‹
    ›Darf ich fragen, warum gerade zu mir?‹
    Sie sah mich kalt

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