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Meisternovellen

Meisternovellen

Titel: Meisternovellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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an.
    ›Ich habe keine Bedenken, es Ihnen zu sagen. Weil Sie abseits wohnen, weil Sie mich nicht kennen – weil Sie ein guter Arzt sind, und weil sie …‹ – jetzt zögerte sie zum ersten Male – ›wohl nicht mehr lange in dieser Gegend bleiben werden, besonders wenn Sie … wenn Sie eine größere Summe nach Hause bringen können.‹
    Mich überliefs kalt. Diese eherne, diese Merchant-, diese Kaufmannsklarheit der Berechnung betäubte mich. Bisher hatte sie ihre Lippen noch nicht zur Bitte aufgetan – aber alles längst auskalkuliert, mich erst umlauert und dann aufgespürt. Ich spürte, wie das Dämonische ihres Willens in mich eindrang, aber ich wehrte mich mit all meiner Erbitterung. Noch einmal zwang ich mich, sachlich – ja fast ironisch zu sein.
    ›Und diese große Summe würden Sie … würden Sie mir zur Verfügung stellen?‹
    ›Für Ihre Hilfe und sofortige Abreise.‹
    ›Wissen Sie, daß ich dadurch meine Pension verliere?‹
    ›Ich werde Sie Ihnen entschädigen.‹
    ›Sie sind sehr deutlich … Aber ich will noch mehr Deutlichkeit. Welche Summe haben Sie als Honorar in Aussicht genommen?‹
    ›Zwölftausend Gulden, zahlbar auf Scheck in Amsterdam.‹
    Ich … zitterte … ich zitterte vor Zorn und … ja auch vor Bewunderung. Alles hatte sie berechnet, die Summe und die Art der Zahlung, durch die ich zur Abreise genötigt war, sie hatte mich eingeschätzt und gekauft, ohne mich zu kennen, hatte über mich verfügt im Vorgefühl ihres Willens. Am liebsten hätte ich ihr ins Gesicht geschlagen … Aber wie ich zitternd aufstand – auch sie war aufgestanden – und ihr gerade Auge in Auge starrte, da überkam mich plötzlich bei dem Blick auf diesen verschlossenen Mund, der nicht bitten, auf ihre hochmütige Stirn, die sich nicht beugen wollte … eine … eine Art gewalttätiger Gier. Sie mußte irgend etwas davon fühlen, denn sie spannte ihre Augenbrauen hoch, wie wenn man jemand Lästigen wegweisen will: der Haß zwischen uns war plötzlich nackt. Ich wußte, sie haßte mich, weil sie mich brauchte, und ich haßte sie, weil … weil sie nicht bitten wollte. Diese eine, diese eine Sekunde Schweigen sprachen wir zum erstenmal ganz aufrichtig zueinander. Dann biß sich plötzlich wie ein Reptil mir ein Gedanke ein, und ich sagte ihr … ich sagte ihr …
    Aber warten Sie, so würden Sie es falsch verstehen, was ich tat … was ich sagte … ich muß Ihnen erst erklären, wie … wieso dieser wahnsinnige Gedanke in mich kam …«

    Wieder klirrte leise im Dunkel das Glas. Und die Stimme wurde erregter.
    »Nicht daß ich mich entschuldigen will, mich rechtfertigen, mich reinwaschen … Aber Sie verstehen es sonst nicht … Ich weiß nicht, ob ich je so etwas wie ein guter Mensch gewesen bin, aber … ich glaube, hilfreich war ich immer … In dem dreckigen Leben da drüben war das ja die einzige Freude, die man hatte, mit der Handvoll Wissenschaft, die man sich ins Hirn gepreßt, irgendeinem Stück Leben den Atem erhalten zu können … so eine Art Herrgottsfreude … Wirklich, es waren meine schönsten Augenblicke, wenn so ein gelber Bursch kam, blauweiß vor Schrecken, einen Schlangenbiß im hochgeschwollenen Fuß, und schon heulte, man solle ihm das Bein nicht abschneiden, und ich kriegte es noch fertig, ihn zu retten. Stundenweit bin ich gefahren, wenn irgendein Weib im Fieber lag – auch so wie diese es wollte, habe ich geholfen, schon in Europa drüben in der Klinik. Aber da spürte mans wenigstens, daß dieser Mensch einen
brauchte,
da wußte mans, daß man jemand vom Tode rettete oder vor der Verzweiflung – und das brauchte man eben selbst zum Helfen, dies Gefühl, daß der andere einen braucht.
    Aber diese Frau – ich weiß nicht, ob ich es Ihnen schildern kann – sie regte mich auf, reizte mich von dem Augenblick, da sie scheinbar promenierend hereinkam, durch ihren Hochmut zu einem Widerstand, sie reizte alles – wie soll ichs sagen – sie reizte alles Gedrückte, alles Versteckte, alles Böse in mir zur Gegenwehr. Daß sie Lady spielte, unnahbar kühl ein Geschäft entrierte, wo es um Tod und Leben ging, das machte mich toll … Und dann … dann … schließlich wird man doch nicht schwanger vom Golfspielen … ich wußte … das heißt, ich mußte plötzlich mit einer – und das war jener Gedanke – mit einer entsetzlichen Deutlichkeit mich daran erinnern, daß diese Kühle, diese Hochmütige, diese Kalte, die steil die Augenbrauen über ihre stählernen Augen hochzog,

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