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Meisternovellen

Meisternovellen

Titel: Meisternovellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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ich konnte sie nicht mehr retten, aber ich habe ihr versprochen, ihre Ehre zu retten, und das werde ich tun. Und ich bitte Sie darum, mir zu helfen!‹
    Seine Augen waren ganz weit geworden vor Erstaunen. ›Sie wollen doch nicht etwa sagen‹, stammelte er dann, ›daß ich, der Amtsarzt, hier ein Verbrechen decken soll?‹
    ›Ja, das will ich, das muß ich wollen.‹
    ›Für Ihr Verbrechen soll ich …‹
    ›Ich habe Ihnen gesagt, daß ich diese Frau nicht berührt habe, sonst … sonst stünde ich nicht vor Ihnen, sonst hätte ich längst mit mir Schluß gemacht. Sie hat ihr Vergehen – wenn Sie es so nennen wollen – gebüßt, die Welt braucht davon nichts zu wissen. Und ich werde es nicht dulden, daß die Ehre dieser Frau jetzt noch unnötig beschmutzt wird.‹
    Mein entschlossener Ton reizte ihn nur noch mehr auf. ›Sie werden nicht dulden … so … nun, Sie sind ja mein Vorgesetzter … oder glauben es wenigstens schon zu sein … Versuchen Sie nur, mir zu befehlen … ich habe mirs gleich gedacht, da ist Schmutziges im Spiel, wenn man Sie aus Ihrem Winkel herruft … eine saubere Praxis, die Sie da anfangen, ein sauberes Probestück … Aber jetzt werde
ich
untersuchen,
ich,
und Sie können sich darauf verlassen, daß ein Protokoll, unter dem mein Name steht, richtig sein wird. Ich werde keine Lüge unterschreiben.‹
    Ich war ganz ruhig.
    ›Ja – das müssen Sie diesmal doch. Denn früher werden Sie das Zimmer nicht verlassen.‹
    Ich griff dabei in die Tasche – meinen Revolver hatte ich nicht bei mir. Aber er zuckte zusammen. Ich trat einen Schritt auf ihn zu und sah ihn an.
    ›Hören Sie, ich werde Ihnen etwas sagen … damit es nicht zum Äußersten kommt. Mir liegt an meinem Leben nichts … nichts an dem eines andern – ich bin nun schon einmal soweit … mir liegt einzig daran, mein Versprechen einzulösen, daß die Art dieses Todes geheim bleibt … Hören Sie: ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß, wenn Sie das Zertifikat unterfertigen, diese Frau sei an … nun an einer Zufälligkeit gestorben, daß ich dann noch im Laufe dieser Woche die Stadt und Indien verlasse … daß ich, wenn Sie es verlangen, meinen Revolver nehme und mich niederschieße, sobald der Sarg in der Erde ist und ich sicher sein kann, daß niemand … Sie verstehen:
niemand
– mehr nachforschen kann. Das wird Ihnen wohl genügen – das
muß
Ihnen genügen.‹
    Es muß etwas Drohendes, etwas Gefährliches in meiner Stimme gewesen sein, denn wie ich unwillkürlich nähertrat, wich er zurück mit jenem aufgerissenen Entsetzen, wie … wie eben Menschen vor dem Amokläufer flüchten, wenn er rasend hinrennt mit geschwungenem Kris … Und mit einemmal war er anders … irgendwie geduckt und gelähmt … seine harte Haltung brach ein. Er murmelte mit einem letzten ganz weichen Widerstand: ›Es wäre das erstemal in meinem Leben, daß ich ein falsches Zertifikat unterzeichnete … immerhin, es wird sich schon eine Form finden lassen … man weiß ja auch, was vorkommt … Aber ich durfte doch nicht so ohne weiteres …‹
    ›Gewiß durften Sie nicht‹, half ich ihm, um ihn zu bestärken – (›Nur rasch! Nur rasch!‹ tickte es mir in den Schläfen) – ›aber jetzt, da Sie wissen, daß Sie nur einen Lebenden kränken würden und einer Toten ein Entsetzliches täten, werden Sie doch gewiß nicht zögern.‹
    Er nickte. Wir traten zum Tisch. Nach einigen Minuten war das Attest fertig (das dann auch in der Zeitung veröffentlicht wurde und glaubhaft eine Herzlähmung schilderte). Dann stand er auf, sah mich an:
    ›Sie reisen noch diese Woche, nicht wahr?‹
    ›Mein Ehrenwort.‹
    Er sah mich wieder an. Ich merkte, er wollte streng, wollte sachlich erscheinen. ›Ich besorge sofort einen Sarg‹, sagte er, um seine Verlegenheit zu decken. Aber was war das in mir, das mich so … so furchtbar … so gequält machte – plötzlich streckte er mir die Hand hin und schüttelte sie mit einer aufspringenden Herzlichkeit. ›Überstehen Sie's gut‹, sagte er – ich wußte nicht, was er meinte. War ich krank? War ich … wahnsinnig? Ich begleitete ihn zur Tür, schloß auf – aber das war meine letzte Kraft, die hinter ihm die Tür schloß. Dann kam dies Ticken wieder in die Schläfen, alles schwankte und kreiste: und gerade vor ihrem Bett fiel ich zusammen … so … so wie der Amokläufer am Ende seines Laufs sinnlos niederfällt mit zersprengten Nerven.«

    Wieder hielt er inne. Irgendwie fröstelte michs: war das erster

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