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Meisternovellen

Meisternovellen

Titel: Meisternovellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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    Ich erzählte eine lange Lüge. Auch ihm verriet ich ihr Geheimnis nicht. Wie zwei Brüder sprachen wir zusammen alle diese Tage, gleichsam überstrahlt von dem Gefühl, das uns verband … und das wir einander nicht anvertrauten, aber wir spürten einer vom andern, daß unser ganzes Leben an dieser Frau hing … Manchmal drängte sichs mir würgend an die Lippen, aber dann biß ich die Zähne zusammen – nie hat er erfahren, daß sie ein Kind von ihm trug … daß ich das Kind, sein Kind hätte töten sollen, und daß sie es mit sich selbst in den Abgrund gerissen. Und doch sprachen wir nur von ihr in diesen Tagen, während deren ich mich bei ihm verbarg … denn – das hatte ich vergessen, Ihnen zu sagen – man suchte nach mir … Ihr Mann war gekommen, als der Sarg schon geschlossen war … er wollte den Befund nicht glauben … die Leute munkelten allerlei … und er suchte mich … Aber ich konnte es nicht ertragen, ihn zu sehen, ihn, von dem ich wußte, daß sie unter ihm gelitten … ich verbarg mich … vier Tage ging ich nicht aus dem Hause, gingen wir beide nicht aus der Wohnung … ihr Geliebter hatte mir unter einem falschen Namen einen Schiffsplatz genommen, damit ich flüchten könne … wie ein Dieb bin ich nachts auf das Deck geschlichen, daß niemand mich erkennt … Alles habe ich zurückgelassen, was ich besitze … mein Haus mit der ganzen Arbeit dieser sieben Jahre, mein Hab und Gut, alles steht offen für jeden, der es haben will … und die Herren von der Regierung haben mich wohl schon gestrichen, weil ich ohne Urlaub meinen Posten verließ … Aber ich konnte nicht leben mehr in diesem Haus, in dieser Stadt … in dieser Welt, wo alles mich an sie erinnert … wie ein Dieb bin ich geflohen in der Nacht … nur ihr zu entrinnen … nur zu vergessen … Aber … wie ich an Bord kam … nachts … mitternachts … mein Freund war mit mir … da … da … zogen sie gerade am Kran etwas herauf … rechteckig, schwarz … ihren Sarg … hören Sie: ihren Sarg … sie hat mich hierher verfolgt, wie ich sie verfolgte … und ich mußte dabeistehen, mich fremd stellen, denn er, ihr Mann, war mit … er begleitet ihn nach England … vielleicht will er dort eine Autopsie machen lassen … er hat sie an sich gerissen … jetzt gehört sie wieder ihm … nicht uns mehr, uns … uns beiden … Aber ich bin noch da … ich gehe mit bis zur letzten Stunde … er wird, er darf es nie erfahren … ich werde ihr Geheimnis zu verteidigen wissen gegen jeden Versuch … gegen diesen Schurken, vor dem sie in den Tod gegangen ist … Nichts, nichts wird er erfahren … ihr Geheimnis gehört mir, nur mir allein …
    Verstehen Sie jetzt … verstehen Sie jetzt … warum ich die Menschen nicht sehen kann … ihr Gelächter nicht hören … wenn sie flirten und sich paaren … denn da drunten … drunten im Lagerraum zwischen Teeballen und Paranüssen steht der Sarg verstaut … Ich kann nicht hin, der Raum ist versperrt … aber ich weiß es mit allen meinen Sinnen, weiß es in jeder Sekunde … auch wenn sie hier Walzer spielen und Tango … es ist ja dumm, das Meer da schwemmt über Millionen Tote, auf jedem Fußbreit Erde, den man tritt, fault eine Leiche … aber doch, ich kann es nicht ertragen, ich kann es nicht ertragen, wenn sie Maskenbälle geben und so geil lachen … diese Tote, ich spüre sie, und ich weiß, was sie von mir will … ich weiß es, ich habe noch eine Pflicht … ich bin noch nicht zu Ende … noch ist ihr Geheimnis nicht gerettet … sie gibt mich noch nicht frei …«

    Vom Mittelschiff kamen schlurfende Schritte, klatschende Laute: Matrosen begannen das Deck zu scheuern. Er fuhr auf wie ertappt: sein zerspanntes Gesicht bekam einen ängstlichen Zug. Er stand auf und murmelte: »Ich gehe schon … ich gehe schon.« Es war eine Qual, ihn anzuschauen: seinen verwüsteten Blick, die gedunsenen Augen, rot von Trinken oder Tränen. Er wich meiner Anteilnahme aus: ich spürte aus seinem geduckten Wesen Scham, unendliche Scham, sich verraten zu haben an mich, an diese Nacht. Unwillkürlich sagte ich:
    »Darf ich vielleicht nachmittags zu Ihnen in die Kabine kommen …«
    Er sah mich an – ein höhnischer, harter, zynischer Zug zerrte an seinen Lippen, etwas Böses stieß und verkrümmte jedes Wort.
    »Aha … Ihre famose Pflicht, zu helfen … aha … Mit der Maxime haben Sie mich ja glücklich zum Schwatzen gebracht. Aber nein, mein Herr, ich danke. Glauben Sie ja nicht, daß

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