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Meisternovellen

Meisternovellen

Titel: Meisternovellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Schauer des Morgenwinds, der jetzt leise sausend über das Schiff lief? Aber das gequälte Gesicht – nun schon halb erhellt vom Widerschein der Frühe – spannte sich wieder zusammen:
    »Wie lang ich so auf der Matte gelegen hatte, weiß ich nicht. Da rührte michs an. Ich fuhr auf. Es war der Boy, der zaghaft mit seiner devoten Geste vor mir stand und mir unruhig in den Blick sah.
    ›Es will jemand herein … will sie sehen …‹
    ›Niemand darf herein.‹
    ›Ja … aber …‹
    Seine Augen waren erschreckt. Er wollte etwas sagen und wagte es doch nicht. Das treue Tier litt irgendwie eine Qual.
    ›Wer ist es?‹
    Er sah mich zitternd an wie in Furcht vor einem Schlag. Und dann sagte er – er nannte einen Namen … woher ist in solch einem niedern Wesen mit einmal so viel Wissen, wie kommt es, daß in manchen Sekunden ein unbeschreibliches Zartgefühl derlei ganz dumpfe Menschen beseelt? … dann sagte er … ganz, ganz ängstlich …
    ›
Er
ist es.‹
    Ich fuhr auf, verstand sofort und war sofort ganz Gier, ganz Ungeduld nach diesem Unbekannten. Denn sehen Sie, wie sonderbar … inmitten all dieser Qual, in diesem Fieber von Verlangen, von Angst und Hast hatte ich ganz ›ihn‹ vergessen … vergessen, daß da noch ein Mann im Spiel war … der Mann, den diese Frau geliebt, dem sie leidenschaftlich das gegeben, was sie mir verweigert … Vor zwölf, vor vierundzwanzig Stunden hätte ich diesen Mann noch gehaßt, ihn noch zerfleischen können … Jetzt … ich kann, ich kann Ihnen nicht schildern, wie es mich jagte, ihn zu sehen … ihn … zu lieben, weil sie ihn geliebt.
    Mit einem Ruck war ich bei der Tür. Ein junger, ganz junger blonder Offizier stand dort, sehr linkisch, sehr schmal, sehr blaß. Wie ein Kind sah er aus, so … so rührend jung … und unsäglich erschütterte michs gleich, wie er sich mühte, Mann zu sein, Haltung zu zeigen … seine Erregung zu verbergen … Ich sah sofort, daß seine Hände zitterten, als er zur Mütze fuhr … Am liebsten hätte ich ihn umarmt … weil er ganz so war, wie ich mirs wünschte, daß der Mann sein sollte, der diese Frau besessen … kein Verführer, kein Hochmütiger … nein, ein halbes Kind, ein reines zärtliches Wesen, dem sie sich geschenkt.
    Ganz befangen stand der junge Mensch vor mir. Mein gieriger Blick, mein leidenschaftlicher Aufsprung machten ihn noch mehr verwirrt. Das kleine Schnurrbärtchen über der Lippe zuckte verräterisch … dieser junge Offizier, dies Kind mußte sich bezwingen, um nicht herauszuschluchzen.
    ›Verzeihen Sie‹, sagte er dann endlich. ›Ich hätte gerne Frau … gerne noch … gesehen.‹
    Unbewußt, ganz ohne es zu wollen, legte ich ihm, dem Fremden, meinen Arm um die Schulter, führte ihn, wie man einen Kranken führt. Er sah mich erstaunt an mit einem unendlich warmen und dankbaren Blick … irgendein Verstehen unserer Gemeinschaft war schon in dieser Sekunde zwischen uns beiden … Wir gingen zu der Toten … Sie lag da, weiß, in den weißen Linnen – ich spürte, daß meine Nähe ihn noch bedrückte … so trat ich zurück, um ihn allein zu lassen mit ihr. Er ging langsam näher mit … mit so zuckenden, ziehenden Schritten … an seinen Schultern sah ichs, wie es in ihm wühlte und riß … er ging so wie … wie einer, der gegen einen ungeheuren Sturm geht … Und plötzlich brach er vor dem Bett in die Knie … genauso, wie ich hingebrochen war.
    Ich sprang sofort vor, hob ihn empor und führte ihn zu einem Sessel. Er schämte sich nicht mehr, sondern schluchzte seine Qual heraus. Ich vermochte nichts zu sagen – nur mit der Hand strich ich ihm unbewußt über sein blondes, kindlich weiches Haar. Er griff nach meiner Hand … ganz lind und doch ängstlich … und mit einemmal fühlte ich seinen Blick an mir hängen … ›Sagen Sie mir die Wahrheit, Doktor‹, stammelte er, ›hat sie selbst Hand an sich gelegt?‹
    ›Nein‹, sagte ich.
    ›Und ist … ich meine … ist irgend … irgend jemand schuld an ihrem Tode?‹
    ›Nein‹, sagte ich wieder, obwohl mirs aufquoll in der Kehle, ihm entgegenzuschreien: ›Ich! Ich! Ich! … Und du! … Wir beide! Und ihr Trotz, ihr unseliger Trotz!‹ Aber ich hielt mich zurück. Ich wiederholte noch einmal: ›Nein … niemand hat schuld daran … es war ein Verhängnis!‹
    ›Ich kann es nicht glauben‹, stöhnte er, ›ich kann es nicht glauben. Sie war noch vorgestern auf dem Balle, sie lächelte, sie winkte mir zu. Wie ist das möglich, wie konnte das

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