Meisternovellen
eine Brise her. Eine halbe, eine Stunde mehr, und dann war es Tag, war dies Grauen ausgelöscht im klaren Licht. Ich sah seine Züge jetzt deutlicher, da die Schatten nicht mehr so dicht und schwarz in unsern Winkel fielen – er hatte die Kappe abgenommen, und unter dem blanken Schädel schien sein verquältes Gesicht noch schreckhafter. Aber schon wandten sich die glitzernden Brillengläser wieder mir zu, er straffte sich zusammen, und seine Stimme hatte einen höhnischen, scharfen Ton.
»Mit ihr wars nun zu Ende – aber nicht mit mir. Ich war allein mit der Leiche – aber allein in einem fremden Haus, allein in einer Stadt, die kein Geheimnis duldete, und ich … ich hatte das Geheimnis zu hüten … Ja, denken Sie sich das nur aus, die ganze Situation: eine Frau aus der besten Gesellschaft der Kolonie, vollkommen gesund, die noch abends zuvor auf dem Regierungsball getanzt hat, liegt plötzlich tot in ihrem Bett … ein fremder Arzt ist bei ihr, den angeblich ihr Diener gerufen … niemand im Haus hat gesehen, wann und woher er kam … man hat sie nachts auf einer Sänfte hereingetragen und dann die Türen geschlossen … und morgens ist sie tot … dann erst hat man die Diener gerufen, und plötzlich gellt das Haus von Geschrei … im Nu wissen es die Nachbarn, die ganze Stadt … und nur einer ist da, der alles erklären soll … ich, der fremde Mensch, der Arzt aus einer entlegenen Station … Eine erfreuliche Situation, nicht wahr? …
Ich wußte, was mir bevorstand. Glücklicherweise war der Boy bei mir, der brave Bursche, der mir jeden Wink von den Augen las – auch dieses gelbe dumpfe Tier verstand, daß hier noch ein Kampf ausgetragen werden müsse. Ich hatte ihm nur gesagt: ›Die Frau will, daß niemand erfährt, was geschehen ist.‹ Er sah mir in die Augen mit seinem hündisch feuchten und doch entschlossenen Blick: ›Yes, Sir‹, mehr sagte er nicht. Aber er wusch die Blutspuren vom Boden, richtete alles in beste Ordnung – und gerade seine Entschlossenheit gab mir die meine wieder.
Nie im Leben, das weiß ich, habe ich eine ähnlich zusammengeballte Energie gehabt, nie werde ich sie wieder haben. Wenn man alles verloren hat, dann kämpft man um das Letzte wie ein Verzweifelter – und das Letzte war ihr Vermächtnis, das Geheimnis. Ich empfing voll Ruhe die Leute, erzählte ihnen allen die gleiche erdichtete Geschichte, wie der Boy, den sie um den Arzt gesandt hatte, mich zufällig auf dem Wege traf. Aber während ich scheinbar ruhig redete, wartete … wartete ich immer auf das Entscheidende … auf den Totenbeschauer, der erst kommen mußte, ehe wir sie in den Sarg verschließen konnten und das Geheimnis mit ihr … Es war, vergessen Sie nicht, Donnerstag, und Samstag kam ihr Gatte …
Um neun Uhr hörte ich endlich, wie man den Amtsarzt anmeldete. Ich hatte ihn rufen lassen – er war mein Vorgesetzter im Rang und gleichzeitig mein Konkurrent, derselbe Arzt, von dem sie seinerzeit so verächtlich gesprochen und der offenbar meinen Wunsch nach Versetzung bereits erfahren hatte. Bei seinem ersten Blick spürte ichs schon: er war mir feind. Aber gerade das straffte meine Kraft.
Im Vorzimmer fragte er schon: ›Wann ist Frau …‹ – er nannte ihren Namen – › … gestorben?‹
›Um sechs Uhr morgens.‹
›Wann sandte sie zu Ihnen?‹
›Um elf Uhr abends.‹
›Wußten Sie, daß ich ihr Arzt war?‹
›Ja, aber es tat Eile not … und dann … die Verstorbene hatte ausdrücklich mich verlangt. Sie hatte verboten, einen anderen Arzt rufen zu lassen.‹
Er starrte mich an: in seinem bleichen, etwas verfetteten Gesicht flog eine Röte hoch, ich spürte, daß er erbittert war. Aber gerade das brauchte ich – alle meine Energien drängten sich zu rascher Entscheidung, denn ich spürte, lange hielten es meine Nerven nicht mehr aus. Er wollte etwas Feindliches erwidern, dann sagte er lässig: ›Wenn Sie schon meinen, mich entbehren zu können, so ist es doch meine amtliche Pflicht, den Tod zu konstatieren und … wie er eingetreten ist.‹
Ich antwortete nicht und ließ ihn vorangehen. Dann trat ich zurück, schloß die Tür und legte den Schlüssel auf den Tisch. Überrascht zog er die Augenbrauen hoch: ›Was bedeutet das?‹
Ich stellte mich ruhig ihm gegenüber:
›Es handelt sich hier nicht darum, die Todesursache festzustellen, sondern – eine andere zu finden. Diese Frau hat mich gerufen, um sie nach … nach den Folgen eines verunglückten Eingriffes zu behandeln …
Weitere Kostenlose Bücher