Meisternovellen
etwas schreckte mich auf. Mit allen Sinnen griff ich um mich, ohne mich zu finden. Und dann sah ichs, erkannte ichs, daß ich da gelehnt hatte mit geschlossenen Augen und in Schlaf gesunken war. Ich mußte geschlummert haben, eine Stunde oder Stunden vielleicht, denn das Licht in der Halle des Hotels war schon erloschen und alles längst zur Ruhe gegangen. Das Haar klebte mir feucht an den Schläfen, wie ein heißer Tau schien dieser traumhaft traumlose Schlummer über mich gesunken zu sein. Ganz wirr stand ich auf, mich ins Haus zurückzufinden. Dumpf war mir zumute, aber diese Wirrnis war auch um mich. Etwas grölte in der Ferne, und manchmal funkelte ein Wetterleuchten gefährlich über den Himmel hin. Die Luft schmeckte nach Feuer und Funken, es glänzten verräterische Blitze hinter den Bergen, und in mir phosphoreszierte Erinnerung und Vorgefühl. Ich wäre gern geblieben, mich zu besinnen, den geheimnisvollen Zustand genießend aufzulösen: aber die Stunde war spät, und ich ging hinein.
Die Halle war schon leer, die Sessel standen noch zufällig durcheinandergerückt im fahlen Schein eines einzelnen Lichtes. Gespenstisch war ihre unbelebte Leere, und unwillkürlich formte ich in den einen die zarte Gestalt des sonderbaren Wesens hinein, das mich mit seinen Blicken so verwirrt gemacht. Ihr Blick in der Tiefe meines Wesens war noch lebendig. Er rührte sich, und ich spürte, wie er mich aus dem Dunkel anglänzte, eine geheimnisvolle Ahnung witterte ihn noch irgendwo wach in diesen Wänden, und seine Verheißung irrlichterte mir im Blut. Und so schwül war es noch immer! Kaum daß ich die Augen schloß, fühlte ich purpurne Funken hinter den Lidern. Noch glänzte in mir der weiße glühende Tag, noch fieberte in mir diese flirrende, feuchte, funkelnde, phantastische Nacht.
Aber ich konnte hier im Flur nicht bleiben, es war alles dunkel und verlassen. So ging ich die Treppe hinauf und wollte doch nicht. Irgendein Widerstand war in mir, den ich nicht zu zähmen wußte. Ich war müde, und doch fühlte ich mich zu früh für den Schlaf. Irgendeine geheimnisvolle, hellsüchtige Witterung verhieß mir noch Abenteuerliches, und meine Sinne streckten sich vor, Lebendiges, Warmes zu erspähen. Wie mit feinen, gelenkigen Fühlern drang es aus mir in den Treppengang, rührte an alle Gemächer, und wie früher hinaus in die Natur, so warf ich jetzt mein ganzes Fühlen in das Haus, und ich spürte den Schlaf, das gemächliche Atemgehen vieler Menschen darin, das schwere, traumlose Wogen ihres dicken schwarzen Blutes, ihre einfältige Ruhe und Stille, aber doch auch das magnetische Ziehen irgendeiner Kraft. Ich ahnte irgend etwas, das wach war wie ich. War es jener Blick, war es die Landschaft, die diesen feinen purpurnen Wahnsinn in mich getan? Ich glaubte irgend etwas Weiches durch Wall und Wand zu spüren, eine kleine Flamme von Unruhe in mir zitterte und lockte im Blut und brannte nicht aus. Widerwillig ging ich die Treppe hinauf und blieb noch immer stehen auf jeder Stufe und horchte aus mir heraus; nicht mit dem Ohr nur, sondern mit allen Sinnen. Nichts wäre mir wunderlich gewesen, alles in mir lauerte noch auf ein Unerhörtes, Seltsames, denn ich wußte, die Nacht konnte nicht enden ohne ein Wunderbares, diese Schwüle nicht enden ohne den Blitz. Noch einmal war ich, als ich da horchend auf dem Treppengeländer stand, die ganze Welt draußen, die sich reckte in ihrer Ohnmacht und nach dem Gewitter schrie. Aber nichts rührte sich. Nur leiser Atem zog durch das windstille Haus. Müde und enttäuscht ging ich die letzten Stufen hinauf, und mir graute vor meinem einsamen Zimmer wie vor einem Sarg.
Die Klinke schimmerte unsicher aus dem Dunkel, feucht und warm zu fassen. Ich öffnete die Tür. Hinten stand das Fenster offen und tat ein schwarzes Viereck von Nacht auf, gedrängte Tannenwipfel drüben vom Wald und dazwischen ein Stück des verwölkten Himmels. Dunkel war alles außen und innen, die Welt und das Zimmer, nur – seltsam und unerklärlich – am Fensterrahmen glänzte etwas Schmales, Aufrechtes wie ein verlorener Streifen Mondschein. Ich trat verwundert näher, zu sehen, was da so hell schimmerte in mondverhangener Nacht. Ich trat näher, und da regte sichs. Ich erstaunte: aber doch, ich erschrak nicht, denn etwas war in dieser Nacht in mir wunderlich dem Phantastischsten bereit, alles schon vorher gedacht und traumbewußt. Keine Begegnung wäre mir sonderbar gewesen und diese am wenigsten, denn wirklich:
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