Meisternovellen
Ich versuche mit fiebernden Händen sie geradezudrehen … Es geht nicht … so schmeiße ich das Rad quer auf den Weg neben den Halunken hin, der blutend aufsteht und zur Seite weicht … Und dann – nein, Sie können nicht fühlen, wie lächerlich das dort vor allen Menschen ist, wenn ein Europäer … nun, ich wußte nicht mehr, was ich tat … ich hatte nur den einen Gedanken: ihr nach, sie erreichen … und so
lief
ich, lief wie ein Rasender die Landstraße entlang vorbei an den Hütten, wo das gelbe Gesindel staunend sich vordrängte, einen weißen Mann, den Doktor,
laufen
zu sehen.
Schweißtriefend kam ich in der Station an … Meine erste Frage: Wo ist das Auto? … Eben weggefahren … Verwundert sehen mich die Leute an: als Rasender muß ich ihnen erscheinen, wie ich da naß und schmierig ankam, die Frage voranschreiend, ehe ich noch stand … Unten an der Straße sehe ich weiß den Qualm des Autos wirbeln … es ist ihr gelungen … gelungen, wie alles ihrer harten, grausam harten Berechnung gelingen muß.
Aber die Flucht hilft ihr nichts … In den Tropen gibt es kein Geheimnis unter den Europäern … einer kennt den anderen, alles wird zum Ereignis … Nicht umsonst ist ihr Chauffeur eine Stunde im Bungalow der Regierung gestanden … in einigen Minuten weiß ich alles … Weiß, wer sie ist … daß sie unten in – nun in der Regierungsstadt wohnt, acht Eisenbahnstunden von hier … daß sie – nun sagen wir, die Frau eines Großkaufmannes ist, rasend reich, vornehm, eine Engländerin … ich weiß, daß ihr Mann jetzt fünf Monate in Amerika war und nächster Tage eintreffen soll, um sie mit nach Europa zu nehmen …
Sie aber – und wie Gift brennt sich mir der Gedanke in die Adern hinein – sie kann höchstens zwei oder drei Monate in anderen Umständen sein …«
»Bisher konnte ich Ihnen noch alles begreiflich machen … vielleicht nur deshalb, weil ich bis zu diesem Augenblicke mich noch selbst verstand … mir als Arzt immer die Diagnose meines Zustandes selbst stellte. Aber von da an begann es wie ein Fieber in mir … ich verlor die Kontrolle über mich … das heißt, ich wußte genau, wie sinnlos alles war, was ich tat; aber ich hatte keine Macht mehr über mich … ich verstand mich selbst nicht mehr … ich lief nur in der Besessenheit meines Zieles vorwärts … Übrigens warten Sie … vielleicht kann ich es Ihnen doch begreiflich machen … Wissen Sie, was Amok ist?«
»Amok? … Ich glaube mich zu erinnern … eine Art Trunkenheit bei den Malaien …«
»Es ist mehr als Trunkenheit … es ist Tollheit, eine Art menschlicher Hundswut … ein Anfall mörderischer, sinnloser Monomanie, der sich mit keiner anderen alkoholischen Vergiftung vergleichen läßt … ich habe selbst während meines Aufenthaltes einige Fälle studiert – für andere ist man ja immer sehr klug und sehr sachlich – ohne aber je das furchtbare Geheimnis ihres Ursprungs freilegen zu können … Irgendwie hängt es mit dem Klima zusammen, mit dieser schwülen, geballten Atmosphäre, die auf die Nerven wie ein Gewitter drückt, bis sie einmal losspringen … Also Amok … ja, Amok, das ist so: Ein Malaie, irgendein ganz einfacher, ganz gutmütiger Mensch, trinkt sein Gebräu in sich hinein … er sitzt da, stumpf, gleichmütig, matt … so wie ich in meinem Zimmer saß … und plötzlich springt er auf, faßt den Dolch und rennt auf die Straße … rennt geradeaus, immer nur geradeaus … ohne zu wissen wohin … Was ihm in den Weg tritt, Mensch oder Tier, das stößt er nieder mit seinem Kris, und der Blutrausch macht ihn nur noch hitziger … Schaum tritt dem Laufenden vor die Lippen, er heult wie ein Rasender … aber er rennt, rennt, rennt, sieht nicht mehr nach rechts, sieht nicht nach links, rennt nur mit seinem gellen Schrei, seinem blutigen Kris in dieses entsetzliche Geradeaus … Die Leute in den Dörfern wissen, daß keine Macht einen Amokläufer aufhalten kann … so brüllen sie warnend voraus, wenn er kommt: ›Amok! Amok!‹, und alles flüchtet … er aber rennt, ohne zu hören, rennt, ohne zu sehen, stößt nieder, was ihm begegnet … bis man ihn totschießt wie einen tollen Hund oder er selbst schäumend zusammenbricht …
Einmal habe ich das gesehen, vom Fenster meines Bungalows aus … es war grauenhaft … aber nur dadurch, daß ichs gesehen habe, begreife ich mich selbst in jenen Tagen … denn so, genau so, mit diesem furchtbaren Blick geradeaus, ohne nach rechts oder links zu
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