Meleons magische Schokoladen
Flammenzungen und Rauch.
Also würden sie gemeinsam untergehen.
Sie würde sterben, zusammen mit allen anderen Bewohnern der Stadt. Der Gedanke an ihre Mutter, die ganz bestimmt zu Hause wartete, und an ihren Vater mitten im Schlachtgetümmel, brachte sie dazu, sich aufzurichten, die schmerzende Seite zu massieren und weiterzulaufen.
Sie würde nicht aufgeben! Diese wildfremden Menschen hatten kein Recht, eine friedliche Kleinstadt in Schutt und Asche zu legen. Und Meleon…
Meleon war schuld an dem allen.
Seinetwegen waren die friedlichen Tage vorbei, brannten die Häuser, lagen Leichen in den Gassen.
Der Gedanke erschreckte sie.
Aber dann dachte sie wieder an Phineas.
Meleon hatte niemanden herausgefordert, niemanden angegriffen. Man hatte ihn angegriffen, seine Frau umgebracht, seine Kinder, sein Leben zerstört und nun waren diese Bestien ihm hierher gefolgt und nichts war ihnen heilig…
Isabell schnürte es die Kehle ab vor Zorn.
Das alles musste ein Ende haben! Sie würden siegen und die friedlichen Tage zurückgewinnen, in denen es nicht Schlimmeres gab als leer gekaufte Pralinentabletts, sie würde Meleon heiraten und glücklich leben, bis ins hohe Alter.
Sie wischte mit dem Handrücken Tränen weg und lief zum Ost-Tor, um ihren Vater zu suchen.
Eine feine Linie aus Licht
Rund um die Reste des Ost-Tores lagen Verteidiger und Angreifer dicht an dicht. Fallende Trümmer hatten die meisten von ihnen erschlagen und Blut quoll unter Stein hervor. Ein Offizier der Reserve war gegen eine Mauer gesunken, ein kleines, kreisrundes Loch in der Stirn und eine tote weiße Taube zu seinen Füßen.
Isabell irrte durch ein Labyrinth aus Schutthaufen und beachtete die Angreifer gar nicht mehr. Das besorgten ja die Lichtsphären. Sie selbst wollte nur noch eins: vertraute Gesichter sehen, sich überzeugend, dass es ihrem Vater gut ging, dass Meleon nicht mehr hinkte, dass er die Übermacht trotz allem zurückschlagen würde…
Als sie ihrem Vater dann direkt in die Arme stolperte, war ihre Erleichterung so groß, dass sie sich nur an ihm festhalten konnte. Er hatte ein schmutziges, blutgetränktes Tuch um die linke Hand gewickelt, sah aber sonst unverletzt aus.
„Wo ist Meleon?“, brachte sie heraus.
Ihr Vater wies dorthin, wo der Ost-Turm gestanden hatte.
„Er verhandelt mit diesem Burschen, Phineas.“
„Wir müssen zu ihm! Sofort!“
Sie zog ihren Vater mit sich Richtung Tor. Sie sahen schon von weitem die weiße Fahne der Unterhändler im kalten Wind heftig hin und her flattern. Daneben standen Phineas und Meleon und sprachen miteinander. Ein Stück weit fort warteten bewaffnete Fisary, ihre Klingen zu Boden gerichtet, aber wachsam.
„Das ist ganz bestimmt eine Falle“, keuchte Isabell und begann zu rennen.
Sie war noch nicht auf fünfzig Meter herangekommen, da flimmerte plötzlich die Luft, so als sei es auf einmal sommerlich heiß über der Wiese, und im nächsten Augenblick spie dieses Flimmern eine Gestalt aus.
Meleon machte einen Satz rückwärts und fasste nach seinem Stab, doch entweder hatte er ihn für die Verhandlungen abgelegt, oder verloren: dort, wo er hin griff, war nur die leere Schlaufe.
Die weiße Fahne zuckte, ging in Flammen auf und war im nächsten Augenblick nichts als ein schwärzlicher Lappen, der jämmerlich von der Holzstange herab hing. Fisary spannten ihre Bogen. Pfeile wurden aufgelegt, Klingen aufgerichtet.
„Meleon!“, schrie Isabell.
Er drehte sich nicht zu ihr um.
Dann trommelten Hufe auf dem gefrorenen Boden. Mit gezücktem Schwert galoppierte Rochas an Isabell vorbei und auf die Kontrahenten zu. Doch bevor er sie erreichte, gab es ein kurzes Aufblitzen, das Pferd strauchelte und Rochas wurde zur Seite geschleudert. Sein Schwert fiel ins Gras.
Keuchend erreichte Isabell die Stelle und hob die Waffe auf. Rochas kam auf die Füße, stolperte auf Isabell zu und nahm das Schwert aus ihrer Hand.
Meleon jedoch schien ohne seinen Stab wie gelähmt, jedenfalls stand er reglos und sah die Gestalt nur an, die sich so unversehens vor ihm materialisiert hatte: ein hochgewachsener Mann, weit größer als Meleon, in dunkles Leder gekleidet, das mit Stacheln aus glänzendem Silber besetzt war, und einem Helm, der das Gesicht bis auf einen schmalen Schlitz für die Augen verdeckte.
„Ist das Noshar?“, keuchte Isabell.
Rochas nickte.
Obwohl sie eigentlich nicht mehr weiter konnte, rannte Isabell auf Meleon zu. Sie würde sich vor ihn werfen, Noshar würde sie
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