Memed mein Falke
dem Alidağ gesehen. Daraufhin hatten sie den Berg förmlich zu belagern begonnen. Ringsumher waren Posten aufgestellt.
Sergeant Asim konnte sich zwar nicht vorstellen, wie Memed sich in diesem grausamen Winter auf dem Berg am Leben erhalten könnte, aber nachdem das Gerücht nun einmal aufgekommen war, klammerte er sich mit aller Zähigkeit an den Gedanken, ihn auf dem Alidağ zu finden.
Eines Tages kam ein Gendarm zu Pferde, der sich durch den Schnee hindurchgekämpft hatte, atemlos bei ihm an.
»Wir haben ihn gesehen, Sergeant. Er hat Reisig über seine Spur gezogen, bergaufwärts. Als er uns bemerkt hat, ist er geflohen, ohne einen Schuß abzugeben. Aber die Spur muß auszumachen sein, auch wenn er versucht hat, sie zu verwischen. Der Schnee ist verharscht; da nützt es nichts, Reisig darüberzuziehen. Wir haben uns die Spur angesehen, sie ist alt.«
Der Sergeant triumphierte. Endlich ein vernünftiger Anhaltspunkt! Er schickte einen seiner Männer zu Abdi Aga, um Ali den Hinkenden herbeizuholen.
»Wir haben eine Spur für dich«, sagte er, als der Hinkende bei ihm war.
»Im Schnee kann ich sie nicht ausmachen. Wenn ich keinen Erdboden sehe, schaffe ich es nicht.«
»Das stimmt«, fielen andere Bauern ein, »im Schnee findet er keine Spur. Er führt euch nur in die Irre.«
Sergeant Asim packte Ali am Kragen. »Finden oder nicht finden, du kommst mit uns!«
Ali der Hinkende zitterte wie Espenlaub. »Ich will deine Fußsohlen küssen, Sergeant, aber schleppe mich nicht in dieser grimmigen Kälte umher!«
»Spar dir deine Worte.« Ali lehnte hilflos an einer Mauer und ließ verzweifelt den Kopf hängen. Der Sergeant gab den Abmarschbefehl in Richtung auf das Alidağ-Massiv.
Wie ein Lauffeuer ging es durch das ganze Dorf. »Sie haben Ince Memeds Spur gefunden!«
Männer, Frauen und Kinder zogen hinter den Gendarmen her. Am Fuße des Alidağ drängten sie sich um die Spur. Jeder wollte sie sehen. Als Ali der Hinkende die Fährte im Schnee sah, schnürte es ihm das Herz zusammen. In seinem Schrecken begann er vor sich hinzureden, ohne darauf zu achten, was er sagte. »Warum zieht der Narr nicht Reisig hinter sich her?« murmelte er. »Wie kann er so unbedacht sein! So muß man ihn ja finden. Diese Spur sieht ja ein Kind ... «
Sergeant Asim packte ihn am Arm und führte ihn an die Trittspuren heran. »Was knurrst du da vor dich hin? Sag mir, ist er das oder nicht?«
»Nein«, stöhnte Ali der Hinkende, »das ist eine Hirtenspur. Und mindestens einen Monat alt.«
Der Sergeant geriet in Wut und schleuderte Ali in den Schnee. »Hinkender Schurke!« schrie er, »der Kerl ist beim Aga im Dienst, ißt sein Brot und steckt dabei mit Ince Memed unter einer Decke! Jeder von euch hier ist ein Ince Memed! Möge Allah euch einen Strich durch die Rechnung machen!«
Dann befahl er den Gendarmen, die Spur den Hang hinauf zu verfolgen.
Zwei Tage folgten sie der Fährte im Schnee, während ihnen vom Frost fast die Hände abfielen. Die Spur führte sie bis an den Gipfel. Sie kreisten ihn ein.
Trauer überfiel das Dorf. Ali der Hinkende war mit hängendem Kopf zurückgekehrt und hatte mit tränenerstickter Stimme berichtet. Mutter Hürü schrie: »Und wenn sie ihn zehnmal finden! Und wenn es ihrer tausend sind - mein Memed entkommt ihnen doch!«
Gegen Abend kam es zum ersten Kampf Die Gendarmen hatten den Weg zur Höhle gefunden und den Eingang entdeckt. Von oben warfen sie eine Handgranate nach der anderen vor die Öffnung. Memed nahm Sergeant Asim aufs Korn, um die Angreifer nicht näher herankommen zu lassen. Es wäre noch Zeit genug gewesen, zu entfliehen.
Aber sie konnten nicht an Flucht denken. Hatçe lag in den Wehen. Als sie es draußen schießen hörte, begann sie zu weinen.
»Habe ich es nicht gesagt?« rief Iraz aus. »Das Reisig ... «
»Sie hätten uns trotzdem nicht gefunden«, antwortete Memed. »Ich wette, Ali der Hinkende hat es nicht ausgehalten, er mußte wieder eine Spur verfolgen. Ich hätte ihn wohl doch damals erledigen müssen. Käme doch nur ein Schneesturm, dann würden sie sich keine Minute halten! Wenn sie erst abgezogen wären, könnten sie frühestens in einer Woche wieder da sein. Oh, dieser Hinkende!«
Sergeant Asim rief im Ton freundlicher Überredung: »Memed, nun ergib dich, mein Junge! Diesmal bist du in der Falle, von allen Seiten eingekesselt. Heraus kommst du nicht mehr. Über kurz oder lang kommt die Amnestie. Komm her, ergib dich! An deinem Tod liegt mir nichts.«
Memed antwortete
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