Memed mein Falke
auf.
»Er hat mit Ismet Pascha gesprochen. Zum großen Fest, zum Nationalfeiertag, gibt es eine Amnestie. Das sind nur noch ein paar Wochen, und dann wird auch Ince Memed straffrei sein. Wir müssen ihm ein Feld geben. Noch dazu hat er jetzt auch ein Kind. Er soll sich bei uns im Dorf ansiedeln. Was meint ihr dazu?«
Die Leute aus Vayvay stimmten aus einem Munde zu. »Ja, er soll zu uns kommen! Unsere Felder gehören ihm und unser Leben!«
Osman der Mächtige suchte hundert Dönüm vom besten Ackerland für Ince Memed aus. Der Kaufpreis wurde durch eine Sammlung im Dorf aufgebracht. Dann pflügten sie das große Feld gemeinsam und bestellten es mit Weizen.
Der Alte war überglücklich, als er in die weiche Erde griff, die ihm wie Wasser aus den Fingern rann. »Jetzt kann ich in Ruhe sterben«, sagte er. »Ali Saip Bey lügt nicht. Auf das, was er sagt, kann man sich verlassen - er ist ja Ismet Paschas Vertrauter.«
In der Kreisstadt aber war die Hölle los. Ali Safa Bey ließ es den Landrat und den Gendarmeriekommandanten büßen, daß sie Ince Memed nicht erwischt hatten. Er jagte ein Telegramm nach dem anderen nach Ankara und beschuldigte die Beamten, die Banditen zu begünstigen. Der Landrat erhielt von der Regierung scharfe Order, nun endlich mit dem Unwesen aufzuräumen. Die Gendarmen wurden jetzt vom Hauptmann selbst angeführt. Die Bevölkerung der Taurusdörfer stöhnte unter den Heimsuchungen durch die Gendarmen, wie zuvor unter den Banditen.
Ince Memed konnte sich nun nicht mehr in die Dörfer hinunterwagen. Tagelang mußten sie Hunger und Durst leiden. Ein paarmal konnten sie sich nur mit knapper Not aus den Fallen befreien, die Hauptmann Faruk ihnen gestellt hatte. Memeds Lage wäre ohne Kerimoğlus Hilfe aussichtslos gewesen. Der Stammesälteste wußte ihn in jedem Schlupfwinkel zu finden und sorgte für Munition, Nahrung und Geldmittel. Die regelmäßigen Sendungen aus Vayvay gelangten ebenfalls mit seiner Hilfe in Memeds Hände. Kerimoğlu wartete ebenso wie Osman der Mächtige ungeduldig auf das Fest und die Amnestie.
In Değirmenoluk und auf der ganzen Distelplatte hatten sie wenig Freude an den Nachrichten von der Amnestie. Wenn Memed von den Bergen herunterkäme, dann würde Abdi Aga sofort ins Dorf zurückkehren. Die Furcht davor saß ihnen schon jetzt im Nacken.
»Was heißt denn schon Amnestie - ein Bandit gehört in die Berge«, meinten sie. »Jetzt hat die ganze Welt Angst vor ihm. Aber wenn er herunterkommt und das gleiche armselige Leben führen muß wie wir ... «
36
»Hast du gehört, Memed?« fragte Ali der Hinkende aufgeregt. »Was denn?« lachte Memed mit großen Augen.
»Weißt du es wirklich noch nicht? Osman der Mächtige - ich habe dir ja schon in Çiçeklideresi gesagt, was der für ein Mann ist. Nun höre: Ali Saip Bey ist aus Ankam gekommen. Zum großen Feiertag kommt eine große Amnestie, sagt er. Was macht unser mächtiger Osman? Er versammelt die Bauern. ‚Ince Memed ist unser Falke', spricht er zu ihnen, ‚lassen wir ihn hierher zu uns kommen und geben ihm ein schönes Feld.' – ‚Für ihn ist bei uns immer Platz', erwidern sie. Ein Feld für hundert Dönüm haben sie für dich gekauft! Osman der Mächtige hat es selbst ausgesucht. Ein Haus bauen sie dir auch. Auf Ali Saip Bey ist Verlaß, sagt Osman der Mächtige. Du sollst vorsichtig sein, damit du die paar Wochen bis zum Fest heil überstehst, meint er. Nun, was sagst du jetzt?«
»Dieser Hauptmann läßt uns nicht mehr zu Atem kommen«, antwortete Memed angespannt. »Die blutbefleckten Mordbrenner läßt er in Frieden; nur hinter mir ist er her. An die zehnmal sind wir schon aneinandergeraten. Aber beim nächsten Mal mache ich mit ihm Schluß.«
»Laß es sein, Memed. Denke an die Amnestie, halte ihn so lange hin!«
»Er verfolgt mich aber unablässig. Ich werde ihn erschießen!«
»Laß es bleiben. Warte noch etwas. Halte ihn hin!« Dann lief Ali der Hinkende fort.
Die Erde von Alayar ist blutigrot. So sieht das Fleisch einer Melone aus, die man mitten durchgeschnitten und in die Sonne gelegt hat. Seit drei Tagen hielten sie sich auf dieser roten Erde verborgen. Obwohl Hauptmann Faruk wie ein beutegieriger Habicht über ihnen war, konnten sie nicht zufriedener sein. Die beiden Frauen sangen den ganzen Tag. Der kleine Memed gedieh prächtig. So schöne Wiegenlieder wie jetzt hatte er selten zu hören bekommen. Hatçe warf ihren Sohn oft in die Luft und fing ihn immer wieder. »Sieh nur, Tante Iraz«,
Weitere Kostenlose Bücher