Memoiren 1902 - 1945
wurde das erste Theaterstück, das ich mit vier oder fünf Jahren zu Weihnachten sah: «Schneewittchen». Ich weiß nicht mehr, in welchem Berliner Theater es stattfand. Es versetzte mich in die allergrößte Erregung, und ich erinnere mich sehr gut an die Heimfahrt in der «Elektrischen»; die Mitfahrer hielten sich die Ohren zu und forderten meine Mutter auf, das hysterisch plappernde Kind endlich zum Schweigen zu bringen. Das Theater, die geheimnisvolle Welt hinter dem Vorhang, die «Bösen» vor allem, die da ihr Wesen trieben, haben mir seit diesem Erlebnis keine Ruhe mehr gelassen. Ich wuchs zu einem schrecklich wißbegierigen Kind heran, das alle, die irgendwie mit dem Theater zu tun hatten, unaufhörlich mit tausend Fragen belästigte.
Mein armer Vater bekam Zustände, weil ich darauf beharrte, er müßte mir die Anzahl der Sterne am Himmel ganz genau nennen. In der Schule dürfte ich wohl das einzige Kind gewesen sein, das ständig schlechte Noten im «Betragen» bekam, weil ich mit meinen Zwischenfragen oft den Unterricht störte. Noch mit 35 Jahren bin ich im «Deutschen Theater» mitten aus einer «Othello-Vorstellung» geflüchtet. Als die Intrigen ihren Höhepunkt erreichten, fing ich unbeherrscht zu schreien an. Es geschah in der Szene, in der Jago durch sein raffiniertes Lügengespinst den arglosen Mohr zu so wahnsinniger Eifersucht treibt, daß dieser seine geliebte Desdemona tötet. Das war aber auch ein Jago, von Ferdinand Marian, und ein Othello, von Ewald Balser gespielt.
«Märchenlesen» war meine Lieblingsbeschäftigung, nicht nur als Kind. Noch mit fünfzehn kaufte ich mir jede Woche das neue Groschenheft «Es war einmal» und schloß mich, um beim Lesen nicht gestört zu werden, in mein Zimmer ein, sobald ich es in Händen hatte.
Einige der Märchen konnte ich immer wieder lesen, wie das «Mädchen mit den drei Nüssen». Ich habe das junge Mädchen, das im Wald eine alte Frau fand, die nicht mehr laufen kann, weil ihre Füße bluten, nie vergessen. Die Alte hatte sich verirrt, ihre Schuhe waren zerrissen, vor Erschöpfung konnte sie sich nicht mehr aufrichten. Das Kind hat Mitleid mit der armen Frau, zieht das Kleid aus, zerreißt es in zwei Teile und wickelt es um ihre blutenden Füße. Dann führt die alte Frau das Mädchen in ihre Hütte und schenkt ihr zum Dank drei Walnüsse. In der einen liegt ein silbriges feines Gewand. Das Mädchen berührt das Gewebe, und es verwandelt sich in ein wunderschönes Kleid von der Farbe des Mondlichts. In der zweiten Nuß findet es ebenfalls ein Gewand, wie aus Lichtstrahlen gewoben, noch schöner als das andere, funkelnd wie glitzernde Sterne. Als das Mädchen die dritte Nuß öffnet, strömen ihm Strahlenbündel entgegen, die wie die Sonne leuchten. Mond, Sterne, Sonne..., die Steigerung des Lichts.
Tatsächlich haben Himmelskörper in meinem Leben immer großen Einfluß auf mich ausgeübt. Als Kind war ich sogar mondsüchtig. An Wochenenden fuhren wir meist aufs Land nach Rauchfangswerder. Zweimal hat mich meine Mutter bei Vollmond vom Dach unseres Hauses heruntergeholt; danach mußte ich bei Vollmondnächten immer im Zimmer meiner Eltern schlafen. Später hat sich diese Veranlagung gegeben. Doch noch als ich «Das blaue Licht» drehte, spielte der Mond darin die Hauptrolle. Das blaue Licht entsteht in dieser Filmlegende aus Mondstrahlen, die sich in Bergkristallen brechen. Zu den erhabensten Augenblicken meines Lebens gehören die Sternennächte am Montblanc und am Nil. Die Sonne aber war es, die mich, wie ich in meinem letzten Bildband schrieb, dem Zauber Afrikas verfallen ließ.
Mein Elternhaus
I ch war nicht nur ein verträumtes Kind, ich war schon früh sportlich aktiv. In diesen Jahren vor dem Ersten Weltkrieg war man noch weit davon entfernt, regelmäßig Sport zu betreiben. Das taten nur wenige. Der Turnvater Jahn und seine Veranstaltungen auf der Hasenheide waren von den Intellektuellen belächelt, von Karikaturisten verspottet worden - von Männern wie meinem Vater aber bewundert. Schon in frühester Jugend spielte er in Rixdorf Fußball, später interessierte er sich für Boxen und Pferderennen.
Ich war gerade fünf Jahre, als er mir aus Schilf eine Schwimmweste bastelte und mich mit ihr ins Wasser warf. Bevor wir das Häuschen in Rauchfangswerder, südlich von Berlin, bezogen hatten, verbrachten wir die Wochenenden in dem kleinen idyllischen Dorf Petz in Brandenburg, eine Stunde Eisenbahnfahrt von Berlin
Weitere Kostenlose Bücher