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Memoiren 1945 - 1987

Memoiren 1945 - 1987

Titel: Memoiren 1945 - 1987 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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Waldesrand, wo alles ruht und schweigt,
    träumt ich von Himmelslust und Glockenklang
    und hatte mein Haupt zur Ruhe geneigt ...»

      Auch als der erste Schnee fiel, hatte sich an unserer Lage noch nichts geändert. Ich hatte verschiedene Briefe und Gesuche an alle nur möglichen französischen Dienststellen geschickt, erhielt aber von keiner eine Antwort.
      Unerwartet bekamen wir eines Tages Besuch. Zuerst wagten wir nicht, ihn in unser Zimmer zu lassen — einen jungen Mann mit schmalen, fast asketisch wirkenden Gesichtszügen. Er stellte sich als französischer Schauspieler mit dem deutschen Namen Paul Müller vor. Nachdem sich langsam unser Mißtrauen gelegt hatte, erfuhren wir, daß er eine Theatertournee durch die französische Zone Deutschlands machte und in Villingen «Stürme über dem Montblanc» gesehen hatte. Es gelang ihm, mich ausfindig zu machen, und er hatte jede Mühe auf sich genommen, mich zu finden. Wie hätte ich ahnen können, welchen Einfluß dieser junge Franzose einige Jahre später auf mein Leben nehmen sollte.
      Nun erreichten mich auch Briefe von Freunden und Bekannten aus Amerika und sogar Care-Pakete. Jedesmal, wenn ein solches Paket kam, war es wie Weihnachten. Schon ein Stück Seife oder eine Dose Nescafé waren ein Schatz. Von meinem Freund Stowitts, von Major Medenbach und anderen, mir persönlich ganz unbekannten Amerikanern kamen sogar Kleider und warme Sachen. Und nicht nur das. Stowitts schickte mir auch Kopien von Briefen, die er in meiner Angelegenheit an den Präsidenten der «Unesco» und des IOC sowie an die Präsidenten der verschiedenen Nationalen Olympischen Komitees geschrieben hatte. Einen besseren Anwalt hätte ich nicht haben können. Aber die Briefe blieben ohne Echo und ohne jedes Ergebnis.
      Im Gegenteil. Wir erfuhren, daß die Franzosen mit Lastwagen mein gesamtes Material abtransportiert hatten — auch Film-Schneidetische, die Tonapparatur, das Mischpult, Filmkameras, sämtliche Büroakten, Koffer, Kleider und alle privaten Sachen. Es sei alles, so schrieb Willy Kruetschnig, ein Kitzbüheler Freund, nach Paris gebracht worden. Ich glaubte, den Verstand zu verlieren. Mein Lebenswerk schien zerstört.
      Die Amerikaner hatten mich rehabilitiert und mir mein Eigentum zurückgegeben. Sie hatten keine einzige Filmkopie behalten. Und die Franzosen?
      Eine andere schlimme Nachricht kam aus Innsbruck. Dr. Kellner, ein Rechtsanwalt, schrieb: «Capitain Petitjean, der Leiter der französischen Filmstelle in Tirol und offiziell eingesetzter Verwalter für Haus Seebichl und das Filmlager München, hat sich vor dem Abtransport des Materials nach Paris noch zusätzlich von der Sparkasse Kitzbühel sämtliche Gelder Ihrer Konten auszahlen lassen.» Dies waren 300 000 Mark vom Firmenkonto, 30 000 Mark von meinem Privatkonto, 4000 Mark von dem Konto meiner Mutter und 2000 Mark vom Konto meines Mannes. Eine Unglückskette
    ohne Ende.
      Seit Kriegsende waren mehr als zwei Jahre vergangen, und noch immer war mir kein ordentliches Gerichtsverfahren zugebilligt worden, ich war rechtlos und meiner Freiheit beraubt.
      Die Depressionen, unter denen ich litt, wurden durch die Auseinandersetzungen mit meinem Mann so sehr verstärkt, daß ich mich entschloß, mich von ihm zu trennen. Auch brauchte ich ärztliche Hilfe. Ein junger Arzt in Königsfeld, Dr. Heisler, hoffte, mich in einem Sanatorium am Feldberg unterbringen zu können, das bereit war, mich ohne sofortige Bezahlung aufzunehmen. Er und ein anderer Arzt aus Königsfeld schienen Erfolg zu haben. Im Mai
    1947 hielt ein französisches Militärfahrzeug vor unserem Haus, und ich wurde aufgefordert, mich fertig zu machen und mitzukommen. Für uns bestand kein Zweifel, daß ich in das Sanatorium gebracht werden würde.
      Dahin kam ich aber nicht. Wenn nicht noch genügend Zeugen lebten, die diese «Episode» — so sagt man wohl — bestätigen können, geriete ich in den Verdacht, eine unglaubwürdige Story erfunden zu haben. Nach zwei Stunden Autofahrt hätte ich auf dem Feldberg in dem Sanatorium sein müssen. Mit Schrecken stellte ich aber fest, daß wir durch die Stadt Freiburg fuhren und dort vor einem großen Gebäude hielten. Die zwei Franzosen, die mich begleitet hatten, forderten mich auf, ihnen zu folgen. Nun ging alles so schnell, daß ich die Einzelheiten in ihrer Folge nicht mehr rekonstruieren kann. In Erinnerung ist mir nur, daß ich in einer kahlen Halle von einem Arzt und einer

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