Memoiren 1945 - 1987
Krankenschwester empfangen wurde; daß die Franzosen Papiere unterschrieben; daß ich dann mit einer Krankenschwester allein war, die mir meinen Koffer abnahm und mich in einen kleinen Raum führte. Als sie mich verließ, sah ich, daß sich vor dem Fenster ein Eisengitter befand, und daß auch das Waschbecken vergittert war. Kein Zweifel, ich war in eine geschlossene Anstalt gebracht worden. Meine Proteste halfen nicht. Die Schwestern zuckten mit den Achseln, und der Arzt, der mich am nächsten Tag untersuchte, sagte: «Sie sind auf Anordnung der französischen Militärregierung eingeliefert worden. Sie sollen wegen Ihrer Depressionen behandelt werden.»
Verzweifelt bat ich den Arzt, den die Schwestern mit «Herr Professor» anredeten, mich nach Hause gehen zu lassen, es war aussichtslos. Ich war wieder einmal eingesperrt, diesmal in einer Irrenanstalt.
Nur wenig ist mir aus dieser düsteren Zeit im Gedächtnis geblieben. Ich erinnere mich, wie ich durch lange dunkle Gänge geführt wurde, laute Schreie durch die Türen drangen, und eine Schwester sagte: «Das war Paula Busch, die aus dem Zirkus.» Wie man mich dann in ein Zimmer brachte, in dem ein mageres Mädchen mit bleicher Gesichtsfarbe, auf einer Bank angeschnallt liegend, markerschütternde Schreie ausstieß, während ihr Körper sich auf- und abbog.
An die Elektroschocks, die ich danach bekam, erinnere ich mich nur nebelhaft, vielleicht weil ich zuvor Beruhigungsspritzen erhielt. Warum hatte man mich in eine Irrenanstalt gesperrt? Sollte ich entmündigt oder gar beseitigt werden? Viel später erfuhr ich durch den Brief eines französischen Filmkünstlers, den ich noch besitze, es habe in Paris zwischen einflußreichen Gruppen ein Kampf um den Besitz meiner Filme stattgefunden und ich sollte so lange als möglich in sicherem Gewahrsam bleiben.
Nach drei Monaten wurde ich eines Tages überraschend entlassen. Es war Anfang August 1947, als ich die Anstalt verließ und mit meinem kleinen Koffer langsam die Steinstufen, die zur Straße führten, hinunterstieg. Ich hatte ein Papier erhalten, das ich der französischen Dienststelle vorlegen sollte. Darin stand, daß meine Einweisung in die geschlossene Abteilung der Psychiatrischen Klinik in Freiburg wegen depressiver Gemütsverfassung notwendig war. Da näherte sich ein Schatten, und plötzlich stand vor mir — mein Mann. Ich war völlig verwirrt, denn nachdem ich die Scheidung eingereicht hatte, war ich auf ein so schnelles Wiedersehen nicht vorbereitet. Er nahm mich am Arm und sagte: «Komm, Herr Voll hat mir seinen Wagen geliehen, ich fahre dich nach Königsfeld.»
Während der Fahrt sprachen wir kaum miteinander, wir waren zu gehemmt. Zögernd berichtete mir Peter, die Scheidung sei inzwischen vollzogen worden, in Konstanz durch das Badische Landesgericht. Er habe freiwillig die Schuld auf sich genommen, aber er hoffe, daß dies keine endgültige Trennung sei.
«Ich möchte dich nicht verlieren», sagte er, «ich weiß, daß ich dir viel angetan habe, aber du mußt mir glauben, ich habe immer nur dich geliebt.» Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: «Bitte, Leni, versuch es noch einmal mit mir, ich verspreche dir, ich werde mich ändern.»
Ich konnte seine Worte kaum ertragen, zu oft hatte er mir dieses
Versprechen gegeben — zu oft hatte ich ihm geglaubt. «Ich kann es nicht mehr, ich werde verrückt», sagte ich weinend. Am liebsten wäre ich aus dem Wagen gesprungen, so groß war meine Angst, wieder schwach zu werden. Meine Zuneigung war noch viel zu stark. Peter versuchte mich zu beruhigen.
«Ich will dir helfen», sagte er, «du brauchst jetzt Hilfe und einen Freund — ich werde warten, aber immer bei dir sein, wenn du mich brauchst.»
Zwei Stunden später brachte er mich zu meiner Mutter. Sie war überglücklich. Peter fuhr zurück nach Villingen.
Der Fremde aus Paris
W äre ich frei gewesen und hätte mich nicht jede Woche bei der französischen Militärbehörde in Villingen melden müssen oder wenn ich irgendeine berufliche Tätigkeit hätte ausüben dürfen oder wenigstens gewußt hätte, wann ich meine Freiheit zurückgewinne, dann hätte ich unseren Aufenthalt in Königsfeld genießen können. Denn dieser Ort, in herrlichen Wäldern eingebettet, hatte eine besondere Atmosphäre. Es waren die Bewohner, die diesem Kurort ihre Prägung gaben. Von ihnen kamen starke religiöse, geistige und künstlerische Impulse, und Frau Raithel war eine
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