Memoria
sie sich nicht mehr zufrieden. Nachdem die kolumbianischen Dealer in ihren Aktivitäten in der Karibik und bis ins südliche Florida durch US -Regierungsprogramme stark beschnitten wurden – mehrere aufeinanderfolgende Regierungen hatten ihren sogenannten
War on Drugs
gezielt gegen die kolumbianischen Kartelle gerichtet –, füllten die Mexikaner die entstandene Lücke aus. Die mexikanischen Kartelle wuchsen in der Folge explosionsartig. Zuerst übernahmen sie den Kokainhandel von den angeschlagenen Kolumbianern, dann weiteten sie ihre Machenschaften aus. Von einfachen Kurieren entwickelten sie sich zu Drahtziehern, die die ganze Versorgungskette kontrollierten. Und sie beließen es nicht dabei, einfach nur Kokain und Heroin in die Vereinigten Staaten zu schmuggeln. Sie planten weiter und beschäftigten sich mit den Drogen der Zukunft – solchen, die man überall herstellen und unkompliziert konsumieren konnte. Die mexikanischen Kartelle waren es, die das wahre Potenzial von Methamphetamin erkannten und die aus der primitiven Biker-Droge, deren Konsum auf die Täler Nordkaliforniens beschränkt war, das größte und verbreitetste Drogenproblem machten, vor dem Amerika gegenwärtig stand. Wenig später folgten andere synthetische Drogen, Pillen, die man bequem schlucken konnte und für die man keine umständlichen Gerätschaften brauchte.
Jetzt bestimmten die mexikanischen Kartelle das Geschäft von Washington bis Maine und waren für achtzig Prozent der illegalen Drogenimporte verantwortlich. Ihre Handlanger vor Ort waren Biker, Häftlingsgangs und Straßengangs. Nach der jüngsten Statistik hatte die DEA die Machenschaften der Kartelle bis in mehr als zweihundertfünfzig Städte überall im Land verfolgt. Ihre Reichweite war unbegrenzt, ihr Streben nach Macht und Profit unersättlich, ihre Dreistigkeit maßlos. Es schien sie nicht zu schrecken, dass sie sich praktisch im Krieg mit der US -Regierung befanden – einem offiziell nicht erklärten Krieg, der das Leben der amerikanischen Bürger weitaus stärker betraf als die Kriege, die im Wüstensand Tausende Meilen östlich der USA ausgefochten wurden.
Einem Krieg, der bei Corliss tiefe Narben hinterlassen hatte.
Narben, die er niemals vergessen würde.
Erinnerungen an jene Nacht der Gewalt in Mexiko wie der Schmerz, der jetzt in seinem Rückgrat pulsierte, bösartig, heimtückisch. Er regte sich immer dann, wenn Corliss es am wenigsten brauchen konnte.
Die Annahme, dass ein mexikanisches Kartell hinter der gewaltsamen Entführung der Wissenschaftler steckte, wurde auch durch die Tatsache gestützt, dass die DEA und andere Strafverfolgungsbehörden im eigenen Land beträchtliche Fortschritte erzielt hatten. Hunderte von Meth-Labors überall in den Vereinigten Staaten waren ausgehoben worden, sodass sich die Produktion über die Grenze nach Süden verlagert hatte. Dort, weit außerhalb der Reichweite der mexikanischen Behörden, hatten die Drogenkartelle Superlabors eingerichtet, in denen Leute wie die verschwundenen Wissenschaftler gebraucht wurden. Außerdem war es nicht der erste Vorfall dieser Art. Bereits früher waren Forscher verschwunden. In vier verschiedenen Fällen waren Chemiker, die im Auftrag pharmazeutischer Unternehmen in Mittel- und Südamerika Vor-Ort-Studien betrieben, gekidnappt worden. In keinem dieser Fälle wurden Lösegeldforderungen gestellt, und die Männer waren nie wieder aufgetaucht. Dann eskalierte das Ganze. Es folgten zwei weitere Vorfälle, diesmal auf Corliss’ Seite der Grenze. Vor etwas mehr als einem Jahr war in El Paso ein Universitätsprofessor für Chemie entführt worden, und ein paar Monate später wurde ein weiterer zusammen mit seinem Laborassistenten in einem frühmorgendlichen Überfall bei Phoenix gekidnappt.
Und jetzt das. Mitten in Corliss’ Zuständigkeitsbereich.
Ein gewaltsamer Überfall mit tödlicher Schießerei auf einem idyllischen Küstenabschnitt am Pazifik.
Eine Schießerei, für die Corliss sich nicht nur als Leiter der hiesigen DEA -Niederlassung interessierte. Er wusste, dass nicht einfach irgendein Drogenboss dahintersteckte.
Sobald er von dem Überfall erfuhr, war ihm der Verdacht gekommen, dass es Navarro war. Anders als seine Kollegen bei der DEA hatte Corliss nie an die Geschichte geglaubt, dass Navarro bei internen Auseinandersetzungen innerhalb des Kartells umgebracht worden war. Er wusste, das Monster war noch am Leben, und als er sich wie bereits bei den früheren Entführungen
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