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Mensch, Martha!: Kriminalroman

Mensch, Martha!: Kriminalroman

Titel: Mensch, Martha!: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Klöck
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Mitternacht ist. Nach Dienstschluss hat sie fast immer das
Bedürfnis, sich zu baden oder wenigstens zu duschen. Sie mag Rebekka
nicht in den Arm nehmen, wenn der Arbeitstag noch an ihr klebt:
Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Misshandlung und Missbrauch,
Körperverletzung, Beleidigung, Mord und Totschlag. –
Natürlich klebt nicht alles, nicht immer, nicht auf einmal. Aber es
ist ständig gegenwärtig.
    Herr Straßenberger würde
sorgenvoll den Kopf schütteln und sagen: Wenn ich die
Bürotüre schließe, lasse ich alles zurück.
    Sie raucht eine Zigarette und
sieht zu, wie sich der Rauch mit dem Dampf des Badewassers vermischt.
    Es ist ein Knoten in ihrem
Leben. Sie mag ihren Beruf und hasst gleichzeitig ihre Arbeit. Sie
sieht das Verbrechen und verliert manchmal aus den Augen, dass
sie mithilft, es aufzuklären. Oft fehlt ihr einfach der Abstand.
Straßenberger hat schon recht.
    Ihre Eltern, insbesondere ihre
Mutter, hätten sie gerne in einer Bank gesehen oder in einer
Steuerkanzlei oder wenigstens im eigenen Geschäft. Da ist ja
zum Glück Barbara eingestiegen.
    Sie ist Beamtin bei der Kripo
geworden, und die Leute, die ihr gegenüber am Schreibtisch
sitzen, kommen nicht, um ein Konto zu eröffnen oder wegen des
Lohnsteuerjahresausgleiches, sondern weil sie Täter oder Opfer sind.
Eines von beiden. Oder beides zugleich.
    Wie lange muss man einen
Menschen kennen, bis man sich auf ihn verlassen kann?
    Martha ist mit zwanzig Mutter
geworden. Sie kannte Andreas seit der Abiturfeier und er war für sie
das, was man große Liebe nennt. Als sie im fünften Monat schwanger
war, stellte er fest, dass sie nicht seine große Liebe war.
Heute ist er ein ziemlich erfolgreicher Architekt. Die
Unterhaltszahlungen für Rebekka kommen pünktlich. Auch sonst ist er
großzügig. Zur Einschulung überwies er fünfhundert Euro extra. Er
bezahlt für seine Tochter. Sonst hat er nichts für sie übrig. Noch
so ein Knoten in Marthas Leben.
    Sie lässt heißes Wasser
nachlaufen. In ihrer Mietwohnung hätte die Nachbarin längst an die
Wand geklopft.
    Wie lange muss man einen
Menschen kennen, bis man sich auf ihn verlassen kann?
    Barbara ist von ihrem Freund
vergewaltigt worden. Profimäßig. Martha nimmt in ihrem Körper ein
Gefühl wahr, das sie relativ gut kennt, das ihr in dieser Intensität
aber neu ist.
    Die Kriminalpsychologin Frau
Wagner empfiehlt immer, Worte für das Empfundene zu suchen.
    Wut. Zorn. Mitleid.
Ohnmacht. Trauer.
    Sie empfiehlt weiterhin, sich
Luft zu verschaffen. In Filmen joggen die Polizisten oder
dreschen gegen Punching-Säcke, um anschließend wieder
klar sehen zu können. Martha hasst Joggen, erst recht, gegen
Sandsäcke zu schlagen. So bleibt das Gefühl oft in ihr stecken und
treibt den Blutdruck auf ungesunde Werte.
    Bevor sie zu Bett geht, zieht
sie den Pulli über den Schlafanzug und raucht noch eine letzte
Zigarette auf dem Balkon. Sie friert mit ihren nassen Haaren und
bekommt schnell kalte Füße.
    Es ist September und schon
richtig Herbst.
    Rebekka schläft friedlich.
Martha hört auf ihren Atem und ist beruhigt. Rebekka leidet
unter Asthma und hat manchmal richtig schlimme Anfälle. Martha kann
die Frage nie ganz abstreifen, ob nicht ihre persönliche Situation
mitverantwortlich ist für die Atemnot ihrer Tochter.
    Eine Mutter ist nicht für
alles verantwortlich, sagt der Kinderarzt dazu. Er will
Martha entlasten.
    Martha schlüpft unter die
Decke und steckt ihre kalten Füße zu Rebekka.
    Dort ist es warm. Bei Rebekka
ist es immer warm.

–2–
    Martha wacht auf, weil jemand an die Tür klopft.
Das Bett neben ihr ist leer; sie hat nicht gehört,
wie Rebekka aufgestanden ist.
    Barbara steckt den Kopf herein.
Sie trägt ihre Metzgerkluft, aber keine Schuhe. Es ist strengstens
untersagt, in Gummistiefeln durch das Haus zu laufen.
    »Hast du dein Handy
ausgeschaltet? Ein Kollege von dir hat angerufen. Du sollst dich
sofort melden. Es hat sich wichtig angehört. Ich glaube, man
braucht dich auf der Dienststelle.«
    Martha reibt sich die Augen und
schaut auf ihre Armbanduhr. Es ist halb neun. Sie hat ungefähr drei
Stunden geschlafen.
    »Verdammter Mist!« sagt sie,
während sie die Bettdecke zurückschlägt. Am meisten ärgert
sie, dass ihre Kollegen anscheinend ganz genau wissen, dass sie, wenn
sie in ihrer Wohnung nicht erreichbar ist, nur bei ihren Eltern sein
kann. Das ist kein Kompliment für eine Achtundzwanzigjährige.
    Sie telefoniert vom Wohnzimmer
aus. Kollege Becker ist am

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