Mensch, Martha!: Kriminalroman
klingelt es an der Haustür.
Barbara lässt das Messer
fallen, springt auf und verschwindet im Wohnzimmer.
»Wenn es Rainer ist ... ich
bin nicht da!«
Ute, die kleine Schwester,
öffnet die Tür. Es ist tatsächlich Rainer. Martha erkennt ihn
an der Stimme.
»Nein, Barbara ist nicht da. –
Aber willst du einen Augenblick hereinkommen?« säuselt Ute. »Wie
war denn überhaupt euer Urlaub?«
»Sag ihr nur, dass ich
unbedingt mit ihr reden will«, antwortet Rainer kurz.
Die Tür fällt ins Schloss.
Barbara fegt wie von der
Tarantel gestochen hinter der Schiebetür hervor und packt Ute
grob am Oberarm. »Du blöde Kuh! Du Aas! Was fällt dir ein, den
auch noch hereinzubitten!?« Barbara kocht. Ihre Nasenspitze ist
schneeweiß.
»Willst du einen Augenblick
hereinkommen?« äfft sie ihre Schwester nach.
»Ruhe!« wirft Marthas Mutter
dazwischen. »Hört auf zu streiten!«
»Ich finde Rainer nett!« sagt
Ute gleichmütig, setzt sich an den Tisch zurück und wendet sich
wieder ihrem Käsebrot zu. »Und ich finde, dass man sich aussprechen
muss, wenn es Probleme gibt.«
»Weil du eine dumme Gans
bist!«
Rebekka ist beeindruckt. Zwar
verfügt sie seit ihrer Kindergartenzeit über ein sehr
umfangreiches Repertoire an Schimpfwörtern. Aber aus dem Mund der
Tante klingen sie doppelt schön.
»Warum bloß ist es Martha
damals im Krankenhaus nicht gelungen, dich auszutauschen!?«
schreit Barbara.
»Jetzt ist aber Schluss!«
Marthas Mutter schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. Rebekka
kichert.
»Mir ist der Appetit
vergangen!« Barbara wirft die Tür hinter sich zu.
»Seit die vom Urlaub zurück
ist, ist sie nur noch zickig!« Ute schiebt sich eine Essiggurke in
den Mund.
»Halt endlich deine Klappe!«
sagt Martha, der es nach einer halben Stunde Familientisch schon
wieder reicht.
»Martha!« Ihre Mutter fährt
hoch. »Deine Tochter sitzt neben dir!«
Rebekka gluckst in ihr
Limonadenglas.
Martha denkt daran, wie schön
der Abend in den eigenen vier Wänden gewesen wäre und zieht sich in
ihr altes Zimmer unter dem Dach zurück.
Als sie achtzehn war, hatte sie
das Bett ihres Jugendzimmers gegen ein breites ausgetauscht.
Irgendwie gehörte das zum Erwachsenwerden dazu, auch wenn ihr
nicht erlaubt wurde, Freunde bei sich übernachten zu lassen.
Heute, zehn Jahre später, ist sie erwachsen und teilt dieses Bett mit ihrer Tochter.
Martha wartet, bis Rebekka
eingeschlafen ist, dann geht sie die Treppe nach unten und klopft an
Barbaras Tür. Barbara sitzt im Bett und blättert in einer
Illustrierten. Im Fernseher läuft der Freitagabendkrimi. Seit
Martha bei der Kriminalpolizei arbeitet, mag sie das Strickmuster
dieser Filme nicht mehr.
»Darf ich bei dir eine
rauchen?«
»Ich dachte, du hättest
aufgehört?« Barbara blickt nicht hoch von ihrer Zeitschrift.
Martha öffnet das Fenster und
nimmt auf dem Fensterbrett Platz.
Sie zündet sich eine Zigarette
an, bläst den Rauch nach draußen und genießt all die enthaltenen
Giftstoffe.
Sie betrachtet das Bild an der
Wand gegenüber. Es ist ein Kunstdruck von René Magritte. René
Magritte gehört irgendwie auch zum Erwachsenwerden dazu.
Barbara blättert weiter in der
Illustrierten.
»Was ist denn eigentlich mit
Rainer?« fragt Martha. Obwohl sie inzwischen selbst neugierig
geworden ist, bemüht sie sich, die Frage möglichst gleichgültig
klingen zu lassen.
»Ich will ihn nicht mehr
sehen.«
»Hmm. Aber anscheinend will er
unbedingt mit dir reden.«
»Aber ich nicht mit ihm!«
Barbara trennt ein paar Seiten
aus der Zeitschrift. Vielleicht Kochrezepte. Oder Reiseberichte. Sie
sammelt beides.
»Eigentlich ist es nicht fair,
jemandem, der unbedingt mit uns reden will, keine Chance zu
geben, oder?«
»Rainer ist ein Schwein«,
sagt Barbara kurz, und obwohl Martha spürt, dass dieses Urteil
endgültig ist, verfolgt sie ihren Faden weiter.
»Vielleicht sucht er das
Gespräch, weil er wieder etwas gut machen will.«
»Es lässt sich nichts mehr
gut machen.«
Martha wagt den Sprung nach
vorne. »Erzähl doch mal, was war.«
Barbara klappt die Zeitschrift
zu und wirft sie auf den Boden.
»Ich weiß doch genau, dass
Mama dich auf mich angesetzt hat. Versuchst du deshalb, mich
auszufragen oder willst du es als Schwester wissen?«
»Letzteres.«
»Okay. Aber du musst mir
versprechen, das, was ich dir jetzt erzählen werde, für dich
zu behalten. Kein Wort zu Mama oder Papa. Die würden abdrehen.«
Barbara wartet die Antwort
ihrer Schwester nicht ab.
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