Mensch, Martha!: Kriminalroman
Apparat.
»Martha! Na endlich!« Es
klingt fast vorwurfsvoll. »Du musst kommen. Wir brauchen dich
unbedingt!«
»Um was geht’s denn?«
Becker liebt Hektik, wenn er
sie anderen aufhalsen kann. Oder wenn sie sowieso andere betrifft.
»Ein Mädchen ist hier. Will sexuellen Missbrauch zur
Anzeige bringen.«
Martha schlägt mit der
Faust gegen den Türstock.
»Gibt es auf der Welt auch
noch Schönes?«
Becker geht nicht darauf ein.
»Du solltest dich wirklich beeilen. Die Kleine sitzt bereits in
deinem Büro und weint wie ein Schlosshund!«
»In meinem Büro?! Ich hab
überhaupt keinen Dienst!«
Da wurde irgendein Kind von
irgendeinem Schwein missbraucht und sitzt an meinem freien
Samstag in meinem Büro!
Das Mädchen ist das eine. Die
Kollegen haben sie in Marthas Büro gesetzt. Das ist das andere.
»Ich weiß selbst, dass du
keinen Dienst hast. Deshalb rufe ich dich ja auch zu Hause an!«
Zu Hause.
»Tut mir leid, wenn ich dir
Umstände gemacht habe«, sagt Martha trocken.
»Halb so schlimm.«
Eines Tages wird dich wegen
Überarbeitung ein jäher Tod ereilen.
»Ich geh noch unter die
Dusche, dann fahre ich los.«
»Schön, aber mach fix!«
Martha hat den Hörer schon
fast aufgelegt, da ruft Becker noch etwas ins Telefon.
»Ja? Ist noch was?«
»Bring noch ein paar
Sandwiches mit aus eurem Laden. Du weißt schon, die guten mit
Schinken, Fleischsalat und Ei ...« Im Hintergrund ist eine
weitere Stimme zu hören. »... Und für Thomas eines mit Salami.«
Martha geht nach oben, schließt
sich im Badezimmer ein und zündet sich erst einmal eine Zigarette
an. Ihr guter Vorsatz, heute endlich mit dem Rauchen aufzuhören,
ist über Bord geflogen, noch ehe sie den Schlafanzug ausgezogen hat.
Sie hat eine Stinkwut.
Rainer! Dieser Teil der
Wut ist aufgewärmt.
Becker! Setzt einfach
ein Mädchen in ihr Büro.
Er weiß, wo er sie am
Wochenende finden kann. Bei ihren Eltern.
Sandwiches mit Schinken,
Fleischsalat und Ei.
Irgendein Perverser hat sich
an einem Kind vergriffen.
Sie schaut in den Spiegel und
sieht nichts als schlechte Laune. Da mag es Leute geben, die ihr
Spiegelbild morgens freundlich begrüßen. Martha zählt nicht
zu denen. Schon gar nicht an einem Tag wie heute.
Rebekka sitzt mit ihrem Opa und Barbara beim
Frühstück.
»Guten Morgen, Frau
Kommissarin«, sagt Marthas Vater gut gelaunt. Er hat sich
inzwischen mit dem Umstand versöhnt, dass eine seiner Töchter ihren
Lebensunterhalt mit der Jagd auf halbseidene Gestalten bestreitet.
»Schön, wenn sich alle meine
Töchter und Enkel unter meinem Dach einfinden!« Er hat den Streit
des gestrigen Abends nicht mitbekommen. Seit Martha denken
kann, geht er Freitagabend zum Stammtisch.
Welch ein Glück für ihn!
Martha gießt sich Kaffee in
Barbaras leergetrunkene Tasse und schlürft ihn im Stehen. »Ich muss
weg. Eine dringende Sache.«
»Wir wollten Schwimmen gehen!«
kräht Rebekka sofort. »Das ist dringend!«
Zu Marthas Wut summiert sich
ein weiterer Grund. Sie hat eine kleine Tochter, mit der sie heute
gerne Schwimmen gegangen wäre.
»Dann gehen halt wir zwei ins
Hallenbad!« schlägt Marthas Vater vor und zieht sie am Ohr.
Martha kann sich nicht
erinnern, dass ihr Vater mit ihr oder ihren Schwestern je im
Hallenbad gewesen wäre. Aber sie weiß viele Situationen, die von
ihm entschärft wurden.
»Kannst du überhaupt
schwimmen?« fragt Rebekka und mustert ihn kritisch.
»Mit deinen Schwimmflügeln
müsste es gehen!« Rebekka lacht. Sie ist zufrieden. Eine
Unternehmung mit Opa bedeutet auch immer Gummibären, ein
Überraschungsei an der Tankstelle, Eis, und wenn sie es richtig
krachen lassen, noch eine Cola oder wenigstens ein Spezi.
Martha holt aus der Ladentheke
ein paar Sandwiches und wechselt in der Ladenkasse einen
Geldschein. Sie braucht Kleingeld für den Zigarettenautomaten.
»Wird ja auch höchste Zeit«, sagt Becker, als
sie ihr Büro betritt.
Er sitzt an ihrem Schreibtisch,
räumt aber sofort den Platz und deutet auf einen Zettel mit den
persönlichen Daten des Mädchens.
Personalien aufnehmen kann
er am besten.
Martha ignoriert ihn und wendet
sich dem Mädchen zu.
Es sitzt zusammengesunken auf
dem Stuhl vor dem Schreibtisch. Sie sieht aus wie eine
Vierzehnjährige, die sich in einen Kinofilm schmuggeln will, der
erst ab achtzehn freigegeben ist.
»Guten Morgen. Mein Name ist
Morgenstern. Wie heißt du?«
»Nicole. Nicole Scherbaum.«
Martha nickt. »Dir ist etwas
passiert, das du der Polizei erzählen
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