Mensch, Martha!: Kriminalroman
–1–
Martha ist vor vier Monaten von zu Hause
ausgezogen. Von dort wegzukommen hat sie bisher trotzdem nicht
geschafft. Ihre Wohnung liegt nur einige Straßen vom Elternhaus
entfernt, weil sie wegen ihrer Tochter Rebekka weiterhin auf
ihre Eltern angewiesen bleibt.
»Du musst am Wochenende
unbedingt nach Hause kommen!« verlangt Marthas Mutter. Sie meint mit nach Hause nicht Marthas Wohnung.
Martha klemmt sich den
Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter und sucht in ihrem
Rucksack nach den Zigaretten.
»Und bring Zeit mit. Du musst
mit Barbara reden. Seit dieser Reise ist sie völlig verändert.
Über den Grund schweigt sie sich aus.«
»Inwiefern verändert?« fragt
Martha leicht gereizt.
Sie hat keine Lust, das
Wochenende mit ihren Eltern und Schwestern zu verbringen. Es ist das
erste unverplante Wochenende in diesem Monat.
»Sie zieht sich zurück. Sie
erzählt nichts von der Reise – und vor allem nichts davon, warum
sie sich von Rainer getrennt hat!«
»Sie werden sich gestritten
haben.«
Martha zündet sich eine
Zigarette an, obwohl sie schon seit sechs Wochen dabei ist, sich das
Rauchen abzugewöhnen. Sie hält die Sprechmuschel zu, damit am
anderen Ende der Leitung das Klicken des Feuerzeuges nicht zu hören
ist.
»Barbara ist fünfundzwanzig
Jahre alt, sie darf sich doch mal mit ihrem Freund streiten.« Oder
ihn in den Wind schießen.
Vorsichtig bläst sie den Rauch
aus. Ihre Mutter darf nicht merken, dass ihr Nichtraucherkurs,
für den sie achtzig Euro hingeblättert hat, gescheitert ist.
»Als wir am Montag Barbara und
Rainer vom Flugplatz abholen wollten, war Barbara allein. Das
einzige, was wir wissen, ist, dass sie sich bereits nach einer Woche
von Rainer getrennt hat und dann fünf Wochen allein durch Java
gereist ist. Stell dir das mal vor! Ich war ja von Anfang an gegen
diesen Urlaub! Rainer war übrigens schon nach zwei Wochen
zurückgekehrt, wie wir gestern gehört haben.«
Martha zieht eine Grimasse,
inhaliert tief und bläst den Rauch an die Zimmerdecke. Eigentlich
hat sie keine Lust, ihre Schwester auszufragen. Offensichtlich
will sie nicht über den Urlaub sprechen und wird ihre Gründe dafür
haben. »Na schön, ich komme am Freitagabend«, seufzt sie und
ärgert sich, weil sie sich einwickeln hat lassen.
»Und sag kein Wort zu Barbara,
dass wir miteinander gesprochen haben!«
Martha holt sich ein Pils aus
dem Kühlschrank und trinkt das Bier gleich aus der Flasche. Obwohl
ihre Mutter immer davor warnt, weil man sich dadurch Herpesbläschen
einfangen kann.
Sie nimmt einen großen Schluck
und genießt es, dass ihre Oberlippe ein Stück in den
Flaschenhals gesogen wird.
Freitags nach der Schule ist Rebekka regelmäßig
bei ihrer Freundin Susanna, mit der sie eine Klasse besucht.
Nach Dienstschluss holt Martha sie dort ab.
Das ist eine Erleichterung für
Martha, denn oft genug muss sie
Handstände vollbringen, ihre siebenjährige Tochter und die Arbeit
unter einen Hut zu bringen. In den meisten Fällen springen ihre
Eltern ein, doch Martha ist dabei, nach anderen Lösungen zu
suchen. Natürlich wäre es einfacher, hätte sie den Rat ihrer
Eltern befolgt und wäre nicht in die eigene Wohnung gezogen.
Martha seufzt. Weil alles in
ihrem Leben seinen Preis hat.
»Hast du Sorgen?« fragt
Rebekka.
»Nein.«
»Aber ich! Susanna kann jetzt
ohne Schwimmflügel schwimmen!« Martha hört einen
vorwurfsvollen Ton in der Stimme ihrer Tochter. Ihr chronisch
schlechtes Gewissen ist sofort angetippt. Irgendwie hat sie einfach
zu wenig Zeit für Rebekka.
»Weißt du was? Wir gehen am
Wochenende ins Hallenbad und üben«, verspricht sie.
»Üben nützt da gar nichts.
Da muss man richtig trainieren!«
Martha sieht im Rückspiegel,
dass Rebekka ein Bonbon so vorsichtig auswickelt, dass das
Knistern des Papiers nicht an ihr Mutterohr dringen kann.
Martha denkt an ihre Raucherei und sagt nichts.
Die Metzgerei von Marthas Eltern ist bereits
geschlossen, als sie ankommen. Rebekka hat inzwischen zwei
bonbongefüllte Backen.
Martha klopft an die Ladentüre,
so wie es viele Kunden auch machen. Barbara, die gerade dabei
ist, Wurst und Fleisch von der Theke in den Kühlraum zu räumen,
sperrt auf.
»Du bist aber dünn geworden!«
bemerkt Martha, aber ihre Schwester zuckt nur mit den Achseln.
Beim Abendessen fällt Martha
auf, dass Barbara wirklich bedrückt ist. Martha weicht den
Blicken ihrer Mutter aus, die ihr ständig signalisieren: Jetzt
siehst du es selbst!
Martha ist genervt.
Da
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