Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
geschlossenen Schoß verschafft – aber wie auch immer, soweit ihr bekannt war, hatte auch Karl-Eriks Schwanz sich im Laufe der zweiundvierzig Jahre nie in andere Regionen verirrt. Bevor sie heirateten, hatte er zugegeben, dass er mit einem Mädchen namens Katarina während einer Luciafeier im zweiten Jahr auf dem Gymnasium zusammen gewesen war, aber sie war nicht sein Typ gewesen, eine Tatsache, die einige Jahre später, in den Achtzigern, noch unterstrichen wurde, als sie eine kurzfristige Berühmtheit als Geiselnehmerin in Zusammenhang mit einem Bankraub in Säffle erlangte. Warum man auch immer ausgerechnet eine Bank in Säffle ausrauben wollte.
Auf jeden Fall: Die Anzahl der wichtigen Entscheidungen blieb bei der unangenehmen Zahl eins. Rosemarie beschloss, es mit dem Staubsaugen genug sein zu lassen, und überlegte, ob es eigentlich einen Grund für den optimistischen Gedanken gab, sie könnte stark genug für Nummer zwei sein. Das Haus war auf sie beide eingetragen, das wusste sie. Ohne ihre Unterschrift auf dem Papier am Mittwoch würde das Geschäft den Bach runtergehen. Das Paar, das das Haus kaufen wollte, hieß Singlöv und wohnte momentan draußen in Rimminge; sie wusste von ihnen nur, dass der Mann Elektriker war und sie zwei Kinder hatten.
Aber dass bereits hunderttausend Kronen als nicht zurückzahlbares Handgeld für ein Dreizimmerhaus in Spanien eingezahlt worden waren, daran konnte sie nichts ändern. Die Rentnerküste, wurde sie nicht so genannt? Eine schmerzhafte Sekunde lang flackerte eine neue Schlagzeile vor ihrem inneren Auge auf: WICHS-WALTERS ELTERN FLIEHEN AN DIE RENTNERKÜSTE!
Wenn ich nur nicht immer so pessimistisch wäre, dachte sie und stellte die Kaffeemaschine an. Wenn ich nicht immer alles als so sinnlos empfinden würde. Woher soll ich nur die Kraft nehmen?
Die letzten Tage einer Handarbeitslehrerin und ihr Tod, dachte sie eine Minute später, als sie sich mit der dritten Tasse Kaffee dieses Tages am Küchentisch niederließ. Das war als Buch-oder Theaterstücktitel gar nicht so schlecht, soweit sie das beurteilen konnte, aber selbst mitten in dem ganzen Schlamassel zu sitzen, das war wahrlich nicht besonders berauschend.
Ach was, kam der Protest irgendwo aus einer noch nicht ausgelöschten Gehirnwindung, mit so viel Trostlosigkeit befasse ich mich doch sonst nicht. Könnte es sein, dass ich heute Morgen einen kleinen Schlaganfall erlitten habe? Wenn ich noch rauchen würde, könnte ich mir zumindest jetzt einen Zug gönnen.
Nein, was ist nur heute mit meinen Gedanken los?, fragte sich Rosemarie Wunderlich Hermansson. Es war gerade erst zehn Uhr.
Blieb noch mehr als ein halber Tag, bis es Zeit war, ins Bett zu gehen, und morgen sollten Kinder und Enkelkinder einfallen wie … ja, wie denn nur?
Wie zwangsrekrutierte Soldaten zu einem befohlenen Krieg?
Leben, wo ist dein Stachel?
2
K ristoffer Grundt lag in seinem Bett und kämpfte mit einem sonderbaren Wunsch. Er hätte gern die nächsten vier Tage seines Lebens übersprungen.
Vielleicht war das für andere gar kein so merkwürdiger Wunsch, das konnte er nicht sagen, aber ihm kam er das erste Mal in den Sinn. Er war vierzehn Jahre alt, und vielleicht war dies ein Zeichen dafür, dass er langsam erwachsen wurde.
Dass es nur schwer zu ertragen war.
Natürlich graute ihm vor verschiedenen Dingen. Wie Mathearbeiten, Sportstunden in der Schwimmhalle. Mit Oscar Sommerlath und Kenny Lythén aus der 9C in einer unbewachten Ecke allein zu landen.
Aber am schlimmsten zu ertragen, das war der Blick seiner Mutter, wenn sie ihn direkt ansah und ihm zeigte, aus welch schlechtem Holz er war.
Nicht aus dem gleichen wie Henrik. Ganz und gar nicht, irgendetwas war schiefgegangen, was Kristoffer betraf. Sie hatten die gleichen Gene, die gleichen Eltern, die gleichen vielversprechenden Voraussetzungen, nein, der Fehler beruhte weder auf Vererbung noch auf der Umgebung – er lag einzig und allein an einem winzigen Detail: an ihm selbst. Kristoffer Tobias Grundt und seinem Rückgrat. Nein, falsch, an Kristoffer Tobias Grundt und seinem mangelnden Rückgrat. An dem Loch, das er mitten in seiner Seele aufwies, wo normale Menschen ihre Charakterstärke hatten.
Genau so war es. So übel sah es aus, wenn man die Dinge recht betrachtete. Aber vier Tage einfach überspringen? Wenn er doch mittels Willenskraft sein Leben einfach um sechsundneunzig Stunden verkürzen könnte. War das nicht eine Schande sich selbst gegenüber … allein die
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