Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
Idee?
Es war halb zehn. Es war Sonntag. Wäre es stattdessen Donnerstagmorgen gewesen, dann wäre es der 22. und in zwei Tagen Heiligabend. Wenn er jemals diesen Zeitpunkt erreichte, so schwor er sich selbst, kurz innezuhalten und einen dankbaren Gedanken zurückzuschicken. Rückwärts zu denken und sich an die Zeit zu erinnern, was immer man auch von ihr halten mochte, trotz allem.
Das Problem war nur, dass sie oft so schrecklich langsam verging und dass sie nie etwas übersprang.
Sie würde nicht die unerträgliche Autofahrt nach Kymlinge überspringen.
Sie würde nicht Oma und Opa und all die anderen hoffnungslosen Verwandten überspringen.
Und, was das Wichtigste war, dachte Kristoffer und schloss die Augen, sie würde nicht das Gespräch mit seiner Mutter überspringen.
»Mir ist schon klar«, hatte sie gestern Abend aus der Tiefe und Dunkelheit des Wohnzimmersofas gesagt, gerade als er glaubte, ungesehen und ungehört hineingeschlichen zu sein. »Mir ist schon klar, dass du es in Ordnung findest, jetzt erst zu kommen. Aber es ist zwei Uhr. Komm mal her und hauch mich an.«
Er war zu ihr gegangen und hatte die Luft in einem feinen Strahl über ihr Gesicht geblasen. Er hatte ihren Blick in der Dunkelheit nicht sehen können, und sie hatte das Geschehen nicht sofort kommentiert. Aber er machte sich keinerlei Illusionen.
»Morgen Vormittag«, hatte sie gesagt. »Da erwarte ich eine Erklärung. Ich bin müde, Kristoffer.«
Er seufzte. Drehte sich im Bett um und dachte lieber an Linda Granberg.
Linda Granberg war schuld, dass er gestern Abend sechs Bier und ein Glas Rotwein getrunken und zehn Zigaretten geraucht hatte. Linda war schuld, dass er sich überhaupt dazu entschlossen hatte, zu dem sogenannten Fest bei Jens & Måns zu gehen. Jens & Måns waren Zwillinge, sie gingen in die Parallelklasse und hatten Eltern, die keine Verantwortung übernahmen. So gingen sie beispielsweise zu einer eigenen Feier in der Stadt und versprachen, nicht vor drei Uhr zurück zu sein. Zwar kauften sie nicht gerade Schnaps für die Jugendlichen ein, aber sie hatten ein ziemlich großzügiges und frei zugängliches Lager unten im Keller.
Es hieß, sie sollten zu acht sein, aber Kristoffer hatte mindestens fünfzehn gezählt. Die Leute waren gekommen und gegangen. Bereits in der ersten Stunde hatte er sich vier Bier hineingekippt. Erik hatte gemeint, dass es besser knallte, wenn man gleich richtig anfing, und es hatte ja auch nicht schlecht funktioniert. Es schien so, als hätte Linda mit ihm Schritt gehalten, er hatte sich getraut, sich neben sie aufs Sofa zu zwängen, und er hatte in einer Art mit ihr geredet, wie er es nie zuvor geschafft hatte. Sie hatte ihn angelacht und mit ihm gelacht, und kurz vor elf Uhr hatte sie seine Hand genommen und gesagt, dass sie ihn mochte. Eine halbe Stunde und jeweils ein Bier später hatten sie angefangen, sich zu küssen, es war für ihn das erste Mal gewesen, sie hatte wunderbar nach Bier, Chips und frischem Tabak geschmeckt und außerdem nach etwas Weichem, Warmem, das nur sie allein war. Die … wie nannte man das? … die Essenz an sich? … von Linda Granberg. Als er jetzt zehn Stunden später in seinem Bett lag, konnte er immer noch die Zunge in der Mundhöhle herumfahren lassen und fand hier und da Reste dieses Geschmacks.
Aber es war eine schnell verfliegende, traurige Erinnerung. In erster Linie traurig. Nach dem Kuss hatten sie Pizza direkt aus dem Karton gegessen, einfach mit den Fingern, und einer der Zwillinge hatte allen sauren Wein aus dem Karton in Plastikbechern serviert, und danach war Linda schlecht geworden. Sie war aufgestanden, hatte ein wenig geschwankt und versprochen, gleich wieder zurück zu sein. Sie war in Richtung Toilette gewankt, und eine halbe Stunde später hatte er sie in einem ganz anderen Zimmer gefunden, in den Armen von Krille Lundin aus der 9b und schlafend. Er hatte sich von Erik ein Bier geschnorrt, noch drei Zigaretten geraucht und war dann nach Hause gegangen. Wenn er die Sache näher bedachte, dann waren es nicht allein die kommenden vier Tage, die er gern gestrichen hätte, den gestrigen Tag würde er nur zu gern hinzufügen.
Linda Granberg, fuck you, dachte er, aber das waren nur hohle Worte, und genau betrachtet, war es ja genau das, was er eigentlich wollte. Wenn man denn ehrlich war. Und hätte er seine Karten nur ein wenig geschickter ausgespielt, hätte er derjenige sein können und nicht dieser Hockeyfreak Krille Lundin, der da mit ihr
Weitere Kostenlose Bücher