Menschen und Maechte
Flottenpolitik von Tirpitz und Nimitz orientierte – waren dabei Voraussetzung und Wirkung zugleich. Die Rüstungsbegrenzungsverträge zwischen Washington und Moskau beschränkten sich ja im wesentlichen auf die Mittel der interkontinentalen nuklearen Kriegführung; so wurden selbst in einer Epoche, in der man auf beiden Seiten den Willen zur friedlichen Koexistenz kundtat, weite Bereiche des ideologischen und machtpolitischen Wettbewerbs ausgeklammert. Auf jeden Fall blieb genügend Raum für den zielbewußten Ausbau der Rüstung.
Expansion und Intervention der Sowjets vollziehen sich im allgemeinen eher auf stille Weise. Die direkte militärische Operation mit der eigenen Armee war selten; im wesentlichen hat sie sich auf die DDR (1953), auf Ungarn (1956), auf die ČSSR (1968) und auf Afghanistan (1979) beschränkt, also hauptsächlich auf Länder innerhalb des Warschauer Paktes. Von dieser vorsichtigen, das Kriegsrisiko meidenden Beschränkung ist die sowjetische Führung nach 1945 nur einmal abgewichen, als Chruschtschow 1962 den
Versuch unternahm, sowjetische Nuklearraketen auf Kuba zu stationieren. Das war sozusagen ein Schritt an die Türschwelle der USA, die mit diesen Raketen bedroht werden sollten. Chruschtschow hat dieses Abenteuer am Ende mit dem Verlust seiner Regierungsgewalt bezahlen müssen.
Breschnew und das von ihm geleitete Politbüro sind zur vorsichtigen Expansionsstrategie eines sorgfältig kalkulierten, begrenzten Risikos zurückgekehrt. Die militärische Intervention in Afghanistan ab Ende 1979 liegt genauso im Rahmen des Konzeptes des begrenzten Risikos wie zuvor schon die über zwei Jahrzehnte durchgehaltene indirekte Unterstützung erst Nordvietnams und dann der vietnamesischen Eroberungen. Die Sowjets sind meisterhafte Schachspieler; sie sind keine Pokerspieler und neigen keineswegs dazu, alles auf eine Karte zu setzen.
Die Vorsicht der Sowjetführung hat eine ihrer Wurzeln in der Erfahrung der Raketenkrise von Kuba. Niemals wieder will Moskau in einer weltpolitischen Krise in die Lage kommen, aus globalstrategischer Unterlegenheit zu spektakulärem Nachgeben gezwungen zu sein. Dieser Wille stand hinter der »idée fixe«, den USA um jeden ökonomischen Preis in globalstrategischer Hinsicht gleichwertig zu werden und zu bleiben – »eine Sache wie Kuba wird uns niemals wieder passieren«.
Aber schon lange vor Kuba lagen andere bittere Erfahrungen: der demütigende Ausgang des russisch-japanischen Krieges von 1904/05 und die verlorene Seeschlacht von Tsushima; der Erste Weltkrieg mit dem Diktatfrieden von Brest-Litowsk 1918 und dem Frieden von Riga 1921, nachdem der Westen im russischen Bürgerkrieg auf seiten der »Weißen« und dann noch einmal im Krieg gegen Polen interveniert hatte. Ein Alpdruck aber blieb der Hitlersche Vorstoß nach Stalingrad, auf die Gipfel des Kaukasus und bis an die Vororte Leningrads und Moskaus; erst nach Jahren blutiger Schlachten und nur mit amerikanischer Hilfe konnte er abgeschlagen werden. Am Ende kostete der Sieg über Hitler zwanzig Millionen Tote.
Die Führer der Sowjetunion leiden an einem russischen Sicherheitskomplex, der sich erstmals schon nach der Niederlage im Krimkrieg 1856 bemerkbar machte. »Die Grenze Rußlands ist nur
dann sicher, wenn auf beiden Seiten der Grenze russische Soldaten stehen«, so soll einmal ein zaristischer Minister gesagt haben. Stalins Politik, einen Kranz von vorgelagerten Satellitenstaaten zu schaffen, hatte ein amerikanisches Allianzsystem zur Folge, das John Foster Dulles in Europa wie im Mittleren und Fernen Osten als einen westlichen Cordon sanitaire aufbaute. Dies wiederum war in Moskau als bedrohliche Einkreisung empfunden worden, und der von Chruschtschow provozierte Bruch mit Mao Zedongs China Ende der fünfziger Jahre – von Mao danach wesentlich vertieft – hat diesen psychologisch verständlichen Sicherheitskomplex noch verstärkt. Etwas anderes kam hinzu. Das Streben nach gleichem globalstrategischem Rang und nach »gleicher Sicherheit« wie die andere Weltmacht war nicht nur verteidigungspolitischer Natur. Es war zugleich die Kompensation für den Inferioritätskomplex der Sowjetunion angesichts ihrer offenkundigen Unfähigkeit, wirtschaftlich mit den westlichen Industriegesellschaften gleichzuziehen.
In militärischer Hinsicht ist der Sicherheitskomplex Ausdruck der Sorge über die potentiellen Gegner, als die – in der Reihenfolge ihres geschichtlichen Auftretens – Deutschland, die USA und
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