Bannstreiter
1. Ungleiche Kampfgefährten
Kaum hatte Rorn die Schenke betreten, verstummten alle Gespräche. Dies passierte ihm nicht zum ersten Male. Doch dem Schweigen wohnte nichts Bedrohliches inne: Die meisten Gäste zogen es lediglich vor, wie gebannt auf den Becher in ihren Händen zu starren. Trotzdem, da stimmte etwas nicht. Ein merkwürdiges Knistern lag in der Luft, das ihn zur Vorsicht mahnte.
Grimmschnitter rührte sich nicht, also war keine Magie im Spiel. Nein, es war lediglich die angespannte Atmosphäre, die der weißblonde Krieger mit dem Zauberschwert wahrnahm. Irgendetwas musste in Rorns Abwesenheit vorgefallen sein, etwas.
In dem großen Schankraum war die Angst deutlich zu spüren, aber auch ein Hauch von Sensationsgier. Rorn waren diese Gefühle nur zu gut bekannt. Es war das typische Brodeln, mit dem ein schaulustiger Pöbel auf einen Gewaltausbruch wartete, den er aus sicherer Entfernung zu begaffen gedachte. Meistens ging es dabei um eine sich anbahnende Schlägerei unter Betrunkenen, an diesem besonderen Abend mochte aber weitaus mehr dahinterstecken.
Der Krieger nutzte den Schutz seiner tief herabgezogenen Kapuze, um die Gaststube unauffällig zu mustern. Gut zwei Dutzend Besucher hockten auf grob behauenen Bänken oder lungerten vor dem Schanktisch herum. Überwiegend kräftige, derb wirkende Gestalten, die nach ihrem harten Tagwerk einen Humpen leeren wollten oder einfach nur einen Blick auf den Kerl werfen, von dem seit Tagen überall die Rede war.
Denn Rorn war jener sagenumwitterte Kämpfer, für den sie ihre letzten Münzen zusammengekratzt hatten. Der Mann, den alle Welt nur den Bannkrieger oder Bannstreiter nannte!
Seine Ankunft hatte sogar einige Auswärtige angelockt, zumindest entdeckte er verschiedene Gesichter, die ihm fremd vorkamen. Die meisten von ihnen waren wohl Fuhrleute, doch es befand sich auch eine junge Frau darunter, die viel zu vornehm gekleidet war, um ihren Lebensunterhalt im trostlosen Nebelbruch zu verdienen – ob nun auf redliche oder verwerfliche Weise.
Kein schlechter Abend für eine Bergschenke, die von Reisenden seit langem gemieden wurde.
Die verstohlenen Blicke, die Rorn aus allen Richtungen zugeworfen wurden, enthielten die übliche Mischung aus Furcht und Verachtung. Doch er spürte auch die Hoffnung, dass er den Bergbewohnern helfen würde. Dafür hatten sie ihn schließlich hergebeten – damit er sie von dem Ungemach befreite, das ihnen schon so lange zusetzte.
Früher einmal, da konnte man unterhalb des Passes gut leben; der Alltag war geprägt von bescheidenem Wohlstand. Auf dem Eisenstieg, dem gewundenen Bergpfad, der die hoch gelegenen Erzminen mit den Schmelzen und Schmieden in den östlichen Tälern verband, kamen viele Eselstreiber und Händler daher, die alle bewirtet werden wollten. Schenken wie der Kreuzkrug und zahllose Hirten, die Milch, Käse und frisches Fleisch für die Küchen lieferten, hatten dabei stets ein gutes Geschäft gemacht, bis zu jenem verhängnisvollen Tage, an dem zum ersten Mal die Nebelwandler erschienen waren. Seitdem beherrschten Angst und Schrecken die Berge. Die Eisentrasse wurde flüsternd nur noch Hexenstieg genannt.
Sicherlich war es kein Zufall, dass die Probleme erst nach dem Niedergang der Greifensteiner aufgetaucht waren. Und wer die Macht der Jadepriester zerschlagen hatte – nun, das war allgemein bekannt. Doch obwohl viele, die unter entfesselter Magie litten, Rorn die Schuld an ihrem Unglück gaben, war er ein gefragter Streiter, der gegen die vagabundierenden Kräfte zu kämpfen verstand.
Grimmschnitter, der Name seines Bannschwertes, war dabei fast ebenso bekannt wie sein eigener.
Da kein Hinterhalt auszumachen war, steuerte Rorn einen kleinen Ecktisch an, den er schon in den vergangenen Tagen für sich in Beschlag genommen hatte. Auf dem Weg dorthin kam er am Ausschank vorbei. Hermok, der Wirt, war so etwas wie der Sprecher der weit verstreut lebenden Berggemeinde, deshalb hielt Rorn kurz inne und schlug die Kapuze seines gefütterten Ledermantels zurück.
»Das Gelände ist mir nun ausreichend vertraut«, erklärte er freundlich, um die Ängste der Menschen zu zerstreuen. »Und wenn ich meinem Begleiter glauben darf«, erklärte er, während er auf den Schwertgriff an seiner Hüfte klopfte, »wird es heute Nacht laut werden. Ich werde dann sehen, was ich für euch tun kann.«
»Sehr schön«, antwortete Hermok, ohne vom Zapfhahn aufzusehen, an dem er gerade einige schwere Humpen befüllte.
Rorn
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